0
70

Deutsche Muslime solidarisieren sich mit Ukrainer:innen

Durch den Krieg in der Ukraine sind inzwischen Hunderttausende nach Deutschland geflüchtet, vor allem Frauen und Kinder. Und die Solidarität mit den Menschen aus der Ukraine ist groß – auch in muslimischen Gemeinden, sagen Experten. Besonders jetzt, im Fastenmonat Ramadan, in dem es besonders wichtig ist, anderen zu helfen. Zugleich nehmen Musliminnen und Muslime in Deutschland aber auch wahr: 2015, als viele Muslime nach Deutschland geflüchtet sind, war die Stimmung im Land ganz anders. Eine ambivalente Situation – mein Kollege Hüseyin Topel hat darüber mit dem Soziologen Aladin El-Mafaalani gesprochen. 

Seit dem 1. April zieht es wieder mehr Musliminnen und Muslime in die Moscheen. Dort warten sie dann gemeinsam auf den Sonnenuntergang, hören sich die Predigt des Imam an, rezitieren aus dem Koran und beten zu Gott. Denn nach dem Mondkalender befinden wir uns derzeit wieder in der alljährlichen islamischen Fastenzeit, im Monat Ramadan.

Der Alltag praktizierender Musliminnen und Muslime ändert sich. Einen Monat lang sind unter anderem Essen und Trinken untersagt, während die Sonne am Himmel steht. Im Ramadan geht es aber nicht nur um Verzicht, sondern auch um gesellschaftliche Teilhabe und ein solidarisches Miteinander. Muslimische Wohlfahrtsorganisationen sammeln Spendengelder und leisten Hilfe in Krisengebieten. Seit der russischen Invasion in der Ukraine ist auch die Hilfe für Ukrainer:innen ein großes Thema in der muslimischen Community in Deutschland. Aladin El-Mafaalani, Integrationsforscher an der Universität Osnabrück, spricht von einer solidarischen Haltung.

„So was wie muslimisches Engagement zeigt sich ganz besonders dann, wenn Krisen da sind, wenn Not ist. Wie jetzt zum Beispiel der Krieg und die Geflüchteten aus der Ukraine, dann sieht man sehr deutlich, also wirklich sehr deutlich, dass die Reaktion alles in allem so war bisher, dass von den Akteuren ganz klar signalisiert wurde „Wir müssen helfen!“ Und diese Signale kamen wirklich ziemlich klar, ziemlich bedingungslos.“

Religionszugehörigkeit spielt keine Rolle

Aladin El-Mafaalani ist Beauftragter der Koordinierungsstelle Muslimisches Engagement in NRW. Er sagt, Hilfe für Geflüchtete gebe es quer durch die islamischen Strömungen und ethnischen Gruppen. Auch spiele die Religion der Geflüchteten keine Rolle.

„Ich habe keinerlei Diskussion wahrgenommen. „Ja, hör mal, das sind keine Muslime. Warum machen wir das dann eigentlich?“ 

Ein konkretes Beispiel für diese solidarische Haltung bietet die 27 jährige Studentin Elif Bidi aus Düsseldorf. Gemeinsam mit ihrer Familie haben sie sich diesen Ramadan dazu entschlossen, Flüchtende willkommen zu heißen. 

„Normalerweise war das so, dass man mit Familie und Freunden gemeinsam das Fasten bricht. Aber dieses Jahr haben wir über Freunde Kontakt zu Ukrainer:innen aufgebaut. Diese werden wir zum Fastenbrechen einladen.“

Eine warme Mahlzeit in einer freundlichen Umgebung. Ein kleiner Trost für Schutzsuchende. Dass es sich bei Ukrainer:innen meist nicht um muslimische Personen handelt, spiele keine Rolle für die junge Muslimin. Es gehe ihr um die Frage…

„…inwieweit wir ihnen helfen können. Gerade heutzutage, wo Menschen Krieg erleben, oder auf der Flucht sind, ist es für uns wichtig ihnen Hilfe anzubieten und ihnen das Gefühl zu geben, für sie da zu sein.“

In die Wahrnehmung von Teilen der Bevölkerung dringe dieses muslimische Engagement gar nicht durch, so El-Mafaalani.

Framing führt zu Problemen in der Wahrnehmung

„Das hat auch viel mit <<Framing>> zu tun und, wann reden wir überhaupt darüber, dass da Muslime etwas tun und wann nicht? Wann scheint das überhaupt von Interesse zu sein und wann nicht und so weiter. Das macht schon was aus.“

In der Soziologie beschreibt der Begriff “Framing” den Prozess einer Einbettung von Ereignissen und Themen in ein Deutungsmuster. Problematisch, wenn der Frame zur Stigmatisierung einer Gruppe führt. Besonders deutlich wurde dieses Phänomen im Sommer 2015, als die große Fluchtbewegung aufgrund des Krieges in Syrien in den Medien und in der Politik als Flüchtlingswelle” bezeichnet wurde. Aus Kriegs-gebeutelten Menschen wurde so eine Naturgewalt. Ganz anders sei es heute bei der Ukraine, meint El-Mafaalani: 

„Werden diese Geflüchteten, obwohl der Fluchtgrund mit Krieg und Vertreibung und Grausamkeit eigentlich ja klassische Fluchtursachen sind. Fluchtursachen, die jedes Jahr eine Rolle gespielt haben. Werden die priorisiert, weil sie weiß sind? Weil sie Christen sind? Weil sie Europäer sind? Und was wäre eigentlich gewesen, wenn es Muslime wären?“

El-Mafaalani: „Willkommenskultur gab es schon 2015“

Der Soziologe macht zudem darauf aufmerksam, dass es bereits 2015 eine breite Willkommenskultur gegeben habe. 

„Das erste Mal von einer realen, allumfassenden Willkommenskultur sprachen wir, als Menschen aus Syrien und auch zum Teil im Irak und Afghanistan, auch ein bisschen aus Jemen gekommen sind. Also diese These Willkommenskultur gibt es jetzt und gab es früher nicht. Das ist Quatsch.“

Unterschiede gebe es aber bei Fragen wie: Wie ist der Zugang zum Arbeitsmarkt? zu Sprachkursen? zu sozialen Leistungen? Da stelle El-Mafaalani durchaus eine Priorisierung der Menschen aus der Ukraine fest.

Und er mache sich…

„…wirklich Sorgen, dass ja eine ganze Reihe von politischen Akteuren, die noch vor einem halben Jahr, als wir die Afghanistan-Krise hatten, mit dem Abzug aus Afghanistan und einer drohenden Flüchtlingsbewegung von dort. Die politischen Akteure, die damals gesagt haben 2015 darf sich nicht wiederholen, und die meinten damit, es dürfen nicht wieder viele Flüchtlinge kommen. Das sind die Akteure, die heute auf einmal sagen “Bedingungslose Solidarität”. Und die sagen im Prinzip „Lasst 2015 sich wiederholen, weil das sind Menschen aus Europa und denen helfen wir.“ Das ist hochproblematisch.“ 

Deutschland ist an dieser Krise anders beteiligt

Möglicherweise spiele hierbei eine Rolle, dass Deutschland von dem Krieg in der Ukraine direkter betroffen ist.

„Nicht zu Unrecht sieht man eine Mitschuld. Im Hinblick darauf auf die Vergangenheit, in der Zusammenarbeit mit Russland und ganz besonders mit dem Kreml und dem russischen Präsidenten. Und gleichzeitig – und das verschärft die Situation natürlich noch mal deutlich – die aktuelle Abhängigkeit von dem russischen Energien, fossilen Energien.“

Damit habe man eine begründete Betroffenheit. Deshalb könne man noch nicht abschließend beurteilen, so Aladin El-Mafaalani, ob bei muslimischen und ukrainischen Geflüchteten mit zweierlei Maß gemessen werde.

„Es gibt für beides Argumente. Alles in allem würde ich zu dem Resümee kommen vorläufig, dass man hier problematische Aspekte in vielerlei Hinsicht sehen kann, aber ein abschließendes Urteil wahrscheinlich noch ein paar Wochen auf sich warten lässt.“