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Der ich bin

Als ich in Köln Chorweiler zur Schule ging, gab es keine Frage nach der Identität. Denn der Großteil meiner Mitschülerinnen und Mitschüler sprachen Türkisch, einige wenige sprachen Russisch, Arabisch oder eine andere fremde Sprache. Deutsch sprachen wir eigentlich nur im Klassenzimmer. Als ich aus familiären Gründen dann plötzlich in Solingen auf ein Gymnasium wechselte, wurde mir klar, dass ich in Deutschland lebe, nur die wenigsten Türkisch, geschweige denn Russisch, Arabisch oder eine andere Sprache sprechen und ich nicht mehr ohne großen Aufwand der Beste der Klasse sein kann. Vor allem Felix war besser, deutlich besser. Felix, was für ein netter, aber merkwürdiger Name, wo doch noch vor einem halben Jahr alle meine Freunde Serkan, Kayhan, Oguz oder Sibel hießen. Jedenfalls bin ich als Gastarbeiter(enkel)kind in Chorweiler aufgewachsen und dachte, das ist die ganze Welt. Meine eigene kleine Pizzascheibe beschränkte sich auf einen Radius von 10 Kilometern. Von der Wohnung in Chorweiler-Nord, ins City-Center in Chorweiler über den Marktplatz davor hin zum Bolzplatz in Weiler-Volkhoven. Das ich mit der wahren Welt in Berührung kam verdanke ich meinen Eltern, die für eine bessere Zukunft keinen anderen Weg als den raus aus dem Ghetto für mich und meine Brüder sahen. Außerdem zog es meinen Vater auch aus beruflichen Gründen dort weg. Ein Ort, über den sogar die übrigen, in Köln verstreuten Türken in den schlechtesten Tönen sprechen. Ganz zu schweigen von der Ghetto-Realität, wovon ich als kleiner Junge wirklich nichts mitbekommen habe, war ich dort ganz glücklich. Eines muss man Chorweiler lassen: Es gibt sehr viele Spielplätze und auch sehr viele nette Menschen, die einem beim Vorbeilaufen eine gemischte Tüte schenkten, nur weil sie deine Oma oder deinen Vater kannten.

Ich habe nach bereits während des Studiums sehr viel gearbeitet. Als Grünschnabel, der mit 21 Jahren eine ebenfalls Studentin heiratete, war ich schnell in der Pflicht. Sowohl die Ehe mit meiner Liebe, als auch der frühe Einstieg ins professionelle Denken haben mich positiv geformt und schließlich zu dem Mann gemacht, „der ich bin“.

Schule und Studium

So viel Kritik an der deutschen Integrationspolitik soll reichen. In der Schule war ich gut, aber meine Lehrer erlaubten es mir nicht besser zu sein. Mein Talent kam auf dem Gymnasium Schwertstraße nur bedingt zur Geltung. Was mir auf der Grundschule gegönnt war, durfte sich auf dem Gymnasium nur kaum wiederholen. Es gab den ein oder anderen, wirklich fabelhaften Lehrer. Nur blieben diese zu selten unserer Schule erhalten. Beispielsweise Herr Höfges, der aus einem 5er Schüler in Deutsch einen 2er Schüler machte. Oder Frau Reppel, Herr Raffenberg, die einem das Gefühl von Verständnis und Zuhören gaben. Der beste Lehrer war zweifelsohne Herr Bornefeld, der die drei Türken in der Klasse fragte, ob sie jemals Istanbul gesehen hatten. Als klar wurde, dass wir drei jeden Sommer lediglich zur Verwandtscahft geflogen sind, packte er sich ein Herz und organisierte eine außerschulische Istanbul-Reise. Er machte mich mit diesem Juwel unter den Weltmetropolen bekannt. (Die schlechten Lehrer will ich hier nicht namentlich blamieren, aber es gab mehr schlechte als Gute.)

Meine beruflichen Meilensteine

Ich habe zwischen 2012 und 2014 als Student bei der heute verbotenen und geschlossenen türkischen Tageszeitung Zaman gearbeitet. Für mich war die türkische Medienlandschaft immer sehr uninteressant. Doch ohne ein abgeschlossenes Studium und ohne Volontariat war ich für die deutsche Medienlandschaft zurecht uninteressant. Da war damals die seinerzeit Auflagenstärkste türkische Tageszeitung eine bessere Alternative als Kassieren. Tatsächlich war ich in dieser Zeit als Mitglied der Landespressekonferenz in NRW ausschließlich an Themen der Landespolitik und Integration beschäftigt. Meine Aufgabe war es, den türkisch-sprachigen Menschen einen authentischen Zugang zu den echten Belangen dieser Gesellschaft zu ermöglichen. Ich war nie ein Teil der ideologischen Struktur dieser Zeitung, den ich als junger Mensch auch gar nicht wirklich erkannt habe, oder hätte erkennen können.

Einstieg in den freien Journalismus mit Euronews

Mit dem Krach zwischen der türkische Regierung und den Verantwortlichen der Zaman wurde ich als junger und günstiger Mitarbeiter wegen der finanziellen Krise sehr schnell vor die Tür gesetzt. Das hat mir nie etwas bedeutet, da es für mich ohnehin klar war, dass ich spätestens mit dem Abschluss meines Bachelors in die deutsche Presselandschaft wechseln wollte. Es bat sich mir eine Gelegenheit bei Euronews in Lyon in das Freelancer-Dasein einzusteigen. Diese einmalige Gelegenheit weitete meinen Horizont und gab mir die Möglichkeit, einen großen Sprung in die professionellen Medien zu wagen.

Praktikum bei "Die Welt"

Anschließend habe ich im Politik Ressort von „Die Welt“ ein Praktikum absolviert. Dort habe ich mehrere Artikel platzieren können und meine journalistischen Skills weiterentwickelt. Doch ich wollte lieber multimedial arbeiten. Diese Atmosphäre einer Zeitungsredaktion sprach mich nicht zu 100 Prozent an. So wurde ich durch einen Kollegen zum Deutschlandfunk verwiesen. Der Sender, wusste B.M. auf Anhieb, würde perfekt zu meiner journalistischen Haltung und zu meiner Art passen. Tatsächlich war der Deutschlandfunk für mich von Anfang an eines der größten Ziele überhaupt. Die Formate, das Niveau und die Möglichkeiten der tiefen Recherche sind in fast keinem anderen Medium so spannend.

Der Zeitpunkt für eine der wichtigsten Bekanntschaften in meinem Leben war gekommen.

Seit 2015 "Tag für Tag" im nationalen Hörfunk

Im Oktober 2015, nur einen Monat nach meinem Praktikum in Berlin, habe ich der Deutschlandfunk Redaktion „Tag für Tag“ meinen ersten Beitrag angeboten. Ein grauenhaftes Manuskript ging per Mail an einen Mann, der später zu meinem größten Idol werden sollte. Nach einem Tag wurde ich von Unbekannt angerufen. Ich schlenderte in diesem Augenblick noch auf dem Gelände der Heinrich-Heine Universität in Düsseldorf herum und war wie eingefroren:

„Hallo, hier ist Rüdiger Achenbach vom Deutschlandfunk. Sie hatten mir ein Manuskript geschickt“

„Ja, richtig, ich freue mich wirklich sehr über Ihren Anruf. Eigentlich hatte ich mir keine Hoffnungen gemacht, weil ich mir mit dem Manuskript ziemlich unsicher war…“

„Ja, vielen Dank für das Manuskript. Es ist Ihr erster Versuch richtig?“

„Genau, ich schätze, man merkt es sehr stark…“

„Kein Problem, ich mache Mal einen Vorschlag. Kommen Sie doch morgen in die Redaktion in Köln und wir besprechen dieses Manuskript. Dann zeige ich Ihnen wie das geht“.

Danke lieber Rüdiger Achenbach!

Es ist für einen jungen Mann in meiner damaligen Situation eine große Sensation. Der Mitbegründer der Deutschlandfunk-Sendung „Tag für Tag“ ruft einen nach einer derart desolaten Leistung persönlich an und anstatt sich über das absolut inakzeptable Manuskript herzuziehen, zeigt er Verständnis und Bereitschaft, es mir sogar beizubringen. Weder in der Schule, noch im Studium oder in einer der vorherigen beruflichen Stationen wurde mir jemals so sehr unter die Arme gegriffen. Kein zweiter Mensch hat mir so sehr geholfen, wie Rüdiger Achenbach, der nicht nur deshalb, sondern besonders wegen seines Intellekts und seinen weitreichenden Kenntnissen in Religion und Gesellschaft, für mich ein Vorbild ist und ein ebenso guter Freund.

Katapult: Correctiv

Nach und nach habe ich mich durch die Redaktion „Tag für Tag“ weiterentwickelt. Auch meine Expertisen wuchsen und etablierten sich in weiteren Redaktionen und in anderen Themengebieten. Zwar verfasste ich auch nachdem Rüdiger Achenbach in den wohlverdienten Ruhestand wechselte in regelmäßigen Abständen Beiträge für diese Redaktion, denn auch seine Nachfolgerin Dr. Christiane Florin und sein Nachfolger Andreas Main haben mir diese Gelegenheit geboten. Doch auch der Bereich Politik und Integration kehrte zurück auf meinen Arbeitsplan. Als in der Türkei dann der Putschversuch geschah und glücklicher durch den beispiellosen Einsatz der türkischen Bevölkerung abgewendet wurde, war die Stimmung auch in Deutschland enorm aufgeheizt. Durch meinen authentischen Zugang zu der deutsch-türkischen Community und meinem analytischen Blick in politische sowie gesellschaftliche Entwicklungen habe ich zahlreichen Redaktionen gerade 2016 geholfen. Nach dem ich meinem Kollegen Paul Nehf, den ich von meinem Praktikum bei „Die Welt“ kannte, einige schnelle O-Töne von mir gab, in Bezug auf die Agitatoren innerhalb der deutsch-türkischen Community, wurde ich aufgrund meiner Aussage: „Mitglieder der UETD befürworten die Todesstrafe“ verklagt. Diesen Rechtsstreit habe ich vor dem Landgericht Wuppertal gewonnen. Mein Dank gilt auch meinem Rechtsanwalt Daniel Raimer aus Düsseldorf. Er war ein stets zuverlässiger Rechtsbeistand. Auch möchte ich mich bei dem gemeinnützigen Recherchenetzwerk Correctiv bedanken, die mir eine große Gelegenheit gaben, den gesamten Vorfall zu schildern und zu belegen, warum die UETD, heute in UID umbenannt, aus meiner Sicht eines der größten Probleme im Integrationsprozess der deutsch-türkischen Community ist. Dieser wohl recherchierte Beitrag war für mich regelrecht ein Katapult, wodurch ich an Relevanz und Prominenz gewann. Wenige Monate später erhielt ich eine sehr beehrende Einladung nach Hamburg. Ich war als Redner auf ein Podium des Reporter Forum im Spiegel Haus eingeplant.

Fernsehen

Die gesellschaftlichen Ereignisse auf deutschem Boden, nachdem sich in der Türkei große Veränderungen ereignen, sind seit Sommer 2016 so simultan und linear, dass auch der Bedarf an journalistischer Expertise in diesem Zusammenhang enorm gestiegen ist. In diesem Zusammenhang bereichere ich seit 2016 einige der wichtigsten politischen Magazine in Deutschland.

Politisch investigativ

Beiträge für WDR Monitor, SWR Report Mainz und RBB Kontraste haben mich ins Programm des ARD gebracht. Daneben habe ich auch die Gelegenheit gehabt für ZDF Frontal 21 zu arbeiten.

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