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Opferfest in Gaza: “Das Opferfest hat hier eine andere Tiefe gewonnen”

Während Muslim:innen weltweit das islamische Opferfest Eid al-Adha feiern – mit Familie, festlichem Essen und neuen Kleidern – herrscht in Gaza eine andere Realität. Inmitten von Ruinen, Hunger und Angst versuchen die Menschen, an einem Stück Normalität festzuhalten.

Der Journalist Alaa al-Sharif, Vater von vier Kindern, beschreibt ein Bild, das kaum noch etwas mit früheren Festen zu tun hat.

„Früher sah man glückliche Kinder in neuer Kleidung auf den Straßen spielen, hörte den Ruf des Muezzins und roch das Fleisch der Opfertiere auf den Märkten. Heute sind diese Eindrücke fast verschwunden.“

Alaa berichtet seit Monaten aus Gaza – über den Alltag derjenigen, die nicht fliehen konnten. Für viele Familien ist das Opferfest in diesem Jahr weniger ein Moment des Feierns, sondern ein Akt des Durchhaltens.

„Viele Kinder haben ihre Familien verloren und leben unter menschenunwürdigen Bedingungen in Notunterkünften“, erzählt er. „Und doch versuchen viele, den Sinn des Festes aufrechtzuerhalten – durch kleine Gesten, geteilte Süßigkeiten. Das Opferfest hat in Gaza eine tiefere Bedeutung bekommen: Es steht für das tägliche Durchhaltevermögen und die Opferbereitschaft der Bevölkerung.“

Eine Tradition Abrahams – Opferfest in Gaza

Das islamische Opferfest erinnert an die Geschichte Abrahams, der bereit war, seinen Sohn Gott zu opfern. Stattdessen ließ Gott ein Tier opfern – ein Symbol der Hingabe und des Teilens. Traditionell wird das Fleisch unter Bedürftigen verteilt. Doch in Gaza ist selbst das kaum möglich.

Die deutsch-palästinensische Aktivistin Jouanna Hassoun, Gründerin der Hilfsorganisation Transaidency, sieht das Schlachten in diesem Jahr kritisch:

„Wenn ein Schaf 4.000 Dollar kostet und kaum etwas davon ankommt, frage ich mich, wie sinnvoll das ist. In einer Hungerkrise sollte man das Geld besser für Mehl, Linsen oder Kleidung ausgeben.“

Denn Hilfsorganisationen dürfen derzeit keine Tiere in Gaza schlachten. Die Opfergaben müssen in Ägypten vorbereitet werden – ob sie die Bedürftigen überhaupt erreichen, hängt von der israelischen Regierung ab.

Der deutsch-türkische Journalist und Islamwissenschaftler Özgür Uludağ, derzeit in Israel, plädiert deshalb für pragmatische Alternativen:

„Der Islam kennt Pragmatismus. Wenn Menschen sich zusammentun, um ein Tier zu teilen, dann kann man auch andere Opfergaben leisten – etwa Medikamente oder Lebensmittel. Das ist meiner Meinung nach eine gleichwertige Form des Gebens.“

Die Welt ist oftmals ein verwirrender Ort

Uludağ erlebt in Israel eine paradoxe Situation:

„Die meisten Menschen hier führen ein normales Leben und bekommen das Leid in Gaza nur aus den Medien mit. Dabei ist Gaza von Tel Aviv nur 60 Kilometer entfernt.“

Der Medienwissenschaftler Robert Chatterjee vom Zenith Magazin spricht von einem „Skandal“, dass Stimmen aus Gaza in deutschen Medien kaum noch vorkommen:

„Es gibt fast keine Aufträge mehr für Journalist:innen vor Ort. Dabei wurden in keinem anderen bewaffneten Konflikt so viele Journalist:innen getötet wie in diesem Krieg.“

Zurück in Gaza versucht Alaa al-Sharif, das Fest nicht ganz aufzugeben. Er konnte seinen Kindern neue Kleidung kaufen, ein paar Kekse – mehr nicht. Doch die Symbolik des Opferfests bleibt:

„Die Verbindung zwischen der religiösen Idee der Opferbereitschaft und den realen Entbehrungen, die wir erleben, ist stärker denn je. Dieses Fest ist ein Spiegel unserer Resilienz.“

In Gaza bleibt Eid al-Adha ein Fest ohne Feierlichkeiten – aber nicht ohne Bedeutung.

Erschienen im Deutschlandfunk