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Älterwerden im Islam

Verantwortung übernehmen und geduldig sein: Der Islam erwartet viel von älteren Menschen. Gleichzeitig wird ihnen hoher Respekt zuteil – und Kinder wie Enkelkinder sind in der Pflicht, sich um sie zu kümmern. Doch vielen muslimischen Familien fällt das zunehmend schwer.

Von Hüseyin Topel

Der Islam sieht das irdische Dasein als etwas Vorläufiges an – eine Durchgangsstation, einen Ort der Prüfung. Im Diesseits eine gute Ausgangsposition für das jenseitige Leben zu schaffen, darum geht es. Dabei unterscheidet der Islam nicht zwischen Jung und Alt. Geprüft wird jeder.

„Es gibt eine typische Formel, die ausgesprochen wird, wenn ein Mensch gestorben ist. Also, wir gehören alle Gott und zu ihm kehren wir zurück. Das muss sich jeder vor Augen halten von vornherein und sollte sein Leben möglichst darauf einstellen. Das ist übrigens im Christentum nicht anders.“

Alte Menschen sind wichtig

Sagt Mathias Rohe, Islamwissenschaftler und Jurist an der Universität Erlangen-Nürnberg und verweist darauf, dass der Islam in diesem Punkt ganz in der Traditionslinie von Judentum und Christentum steht. Alte Menschen sind wichtig.

„Was wir beobachten können in Schriften über viele Jahrhunderte, aber auch im Alltagsleben, dass von alten Menschen erwartet wird, dass sie Verantwortung übernehmen. Alte Menschen werden sehr respektiert – wegen ihrer Lebenserfahrung, die sie haben.“

Serap Güler ist Staatssekretärin für Integration des Landes Nordrhein-Westfalen. Die Christdemokratin zeigt sich hin und wieder öffentlich mit ihren Eltern. Persönliche Momente einer Politikerin, die sich als gläubige Muslimin definiert und allen Älteren respektvoll begegnen will.

Das Familienoberhaupt

„Ich weiß nicht, ob man das auf die Religion zurückführen kann, aber ob das vielleicht eine der positivsten Eigenschaften der islamischen Kultur ist? Respekt gegenüber Älteren! Und dies also nach wie vor sehr ausgeprägt auch vorzuleben. Und dass auch die Älteren in der Familie schon als die Oberhäupter gelten, dass ihr Wort viel wert ist.

Ob man das jetzt unbedingt gut oder schlecht findet, ist was anderes. Aber letztendlich ist der Wert ihres Wortes ja auf das Alter zurückzuführen – und dass man da einen unheimlichen Respekt vor hat. Und ich finde, da ist nichts Schlimmes dabei. Auch wenn ich nicht der Meinung bin, dass man alle Worte dieser Menschen unhinterfragt akzeptieren muss.“

Mohammed, der Prophet der Muslime, war selbst ein Waisenkind. Sein Vater starb schon vor seiner Geburt. Seine Mutter starb, als er selbst fünf Jahre alt war. Mohammed predigte oft über den Respekt vor den Älteren.

„Wer keine Barmherzigkeit für die Kleinen empfindet und den Wert der Älteren verkennt, gehört nicht zu uns“.

Geduld als Tugend des Alters

Im Alter nehmen gesundheitliche Beschwerden zu. Krankheiten schränken ein und belasten – körperlich und seelisch. Dennoch erwarte der Islam von alten Menschen,

„dass sie geduldig sind. Dass sie sich darauf einstellen, dass es körperlich abwärts geht, dass Schmerzen kommen. Dass man auch damit geduldig umgehen soll.“

Und trotz abnehmender körperlicher Kraft: Auch bei Muslimen ist zu beobachten, dass sie im Alter die islamische Gebetskultur besonders intensiv pflegen. Wenn das Streben nach dem irdischen Glück abnimmt, wächst die Hoffnung auf religiöse Erfüllung. Viele Muslime beginnen rund ums 50. Lebensjahr damit, fünf Mal am Tag zu beten. Auch die Pilgerreise nach Mekka und Medina, ebenso eine der fünf Säulen im Islam und somit in gewisser Weise verpflichtend, wird von vielen Muslimen erst im hohen Alter angetreten. Dabei ist gerade diese Pilgerfahrt eine echte körperliche Herausforderung.

Altenpflege im Wandel

Der Islam fordert aber nicht nur die Alten, sondern auch ihre Kinder. In einer Überlieferung Mohammeds heißt es:

„Wehe dem, der seine Eltern bei hohem Alter bei sich hat und es trotzdem nicht schafft, sie zufriedenzustellen und dadurch ins Paradies einzutreten.“

Solche Überlieferungen haben dazu geführt, dass in muslimischen Familien traditionell mehrere Generationen unter einem Dach leben. Altenpflege außerhalb der Familie ist im muslimischen Kontext lange kein Thema gewesen, sagt Mathias Rohe.

Als ich in Damaskus in den 80er-Jahren studiert habe, musste ich den Menschen erklären, was ein Altersheim ist. Das konnten die sich gar nicht vorstellen, dass es so etwas gibt.

Doch auch muslimische Familien verändern sich. Vor allem jene Familien, in denen alle Erwachsenen arbeiten. Das führe sie in ein Dilemma, weiß Serap Güler:

„Das zeigt sich beispielsweise auch in der Pflege sehr deutlich, dass es für viele überhaupt nicht in Frage kommt, ihre Älteren in einem Pflegeheim anzumelden. Es wird immer schwieriger, weil jemand, der die Eltern in ein Pflegeheim gibt, steht ja nicht dafür, dass man nichts mit ihnen zu tun haben will, dass man sie nicht mehr lieb hat.

Es gibt viele Menschen, die können das einfach nicht anders leisten, weil sie berufstätig sind, weil sie andere Verantwortungen haben. Aber dieser Gedanke: ‚Nein, dafür sind wir selbständig, dafür muss die Familie selbst aufkommen‘, ist in muslimischen Familien sehr ausgeprägt.“

Kulturadäquate Versorgung

Je mehr Muslime in Pflegeeinrichtungen untergebracht werden, desto mehr kultursensible Einrichtungen und Fachkräfte braucht es. Denn Muslime haben vergleichsweise hohe Schamgrenzen, etwa bei der Körperpflege.

„Was notwendig ist, ist notwendig und kann selbstverständlich gemacht werden. Aber es wird schon häufig gesagt, man soll versuchen, das so dezent wie möglich zu machen. Also es gibt insbesondere relativ starke Geschlechter-Tabus. Die Vorstellungen, dass ein Mann eine Frau pflegt und auch ihren Intimbereich vielleicht auch reinigt, berührt, das dürfte schon sehr befremdlich sein. Deswegen brauchen wir sicher auch- und das sicher nicht nur für Muslime – eine kulturadäquate Versorgung im Alter.“

Das fordert auch Integrationsexpertin Güler.

„Aber wir müssen gleichzeitig auch hier Kommunen oder Wohlfahrtsverbände davon überzeugen, Pflegeeinrichtungen interkulturell oder interreligiös zu erweitern. „

Denn viele Muslime bleiben in Deutschland – auch im Alter. Zwar seien aus der Gastarbeitergeneration viele Muslime in ihre Herkunftsländer zurückgekehrt, doch in den Folgegenerationen nehme dieser Trend ab. Ihre Kinder und Enkelkinder sehen Deutschland als ihre Heimat an. Serap Güler sieht die Zukunft alter Muslime in Deutschland so:

„Ich glaube, dass das von vielen auch der Wunsch ist, dass sie in dem Land, wo sie geboren wurden, alt zu werden. Sie haben kein Sprachproblem, die religiösen Konflikte nehmen ab.“

Den Islam leben, Teil 14