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Tod und Sterben im Islam

Der Tod. Im Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit zu leben spielt im Islam eine zentrale Rolle. Doch Experten sagen: Unter heutigen Muslimen in Deutschland nimmt der Glaube an Jenseits und Auferstehung ab. Der islamische Umgang mit dem Tod wandelt sich.

Von Hüseyin Topel

„Wahrlich, von Gott kommen wir, und, wahrlich zu ihm werden wir zurückgebracht.“

Dieser Vers aus dem Koran hat für Muslime eine zentrale Bedeutung. Sie denken an diesen Vers, wenn sie die Nachricht bekommen, dass Verwandte, Freunde oder Bekannte gestorben sind. An den Tod als eine Art Übergang ins Jenseits zu glauben, ist im Islam elementar und wird zu den sechs Glaubenswahrheiten gezählt.

Der Münchener Islamwissenschaftler Erdogan Karakaya beschäftigt sich täglich mit diesem Koranvers. Er ist Gründer der Initiative „Kabir“, eine Organisation für muslimische Grabstätten in Deutschland. Karakaya ist wichtig, sich bewusst zu sein, …

„… dass es diese Unausweichlichkeit gibt und dass jede Schöpfung, die eine Seele in sich trägt, tatsächlich auch mit dem Tod konfrontiert wird. Und der Prophet Mohammed sagt auch in sehr vielen Aussagen, dass die Erinnerung an den Tod sehr wichtig ist, weil sie im Grunde genommen eine Neuausrichtung des weltlichen, also des irdischen Daseins mit sich bringt. Und der Gedanke an den Tod führt unweigerlich dazu, dass man das Jenseits erahnt oder denkt.“

Mystischer Gedanke

An das Jenseits denken, sich die eigene Sterblichkeit vor Augen führen ist ein zentraler Bestandteil des mystischen Islams. Dieser ist auch als Sufismus bekannt und entstand im Mittelalter.

„Wenn Du mein Leben nimmst, ist der Tod süß wie Zucker.“

Heißt es bei Maulana Dschalal ad-Din Rumi. Der wohl bekannteste islamische Poet. Gelehrte, Sufis und Dichter wie Rumi haben den Tod und die Auferstehung immer wieder mit Bildern und Metaphern beschrieben. Rumi hat seinen eigenen Todestag und seine Rückkehr zu Gott als „Shab-i Arûz“, als Hochzeitsnacht bezeichnet, weil er dann auf ewig vereint sei mit der Liebe Gottes. Anders ausgedrückt – in Rumis Sprache der Bilder und Metaphern:

„Wie eine Blume im Frühjahr zu einem neuen Leben erwacht, kehrt der Mensch durch seine Auferstehung zu seinem Ursprung, zu Gott, zurück.“

Die Enge des Grabes spüren

Eine alte Praxis in islamischen Sufi-Orden ist die sogenannte „Rabita-i Mevt“. Dabei handelt es sich um ein komplexes Gedankenexperiment, bei dem man sich mit hoher Konzentration in ein ganz bestimmtes Szenario vertiefen soll: die Vorstellung vom eigenen Tod. Erdogan Karakaya erklärt dieses Ritual.

„In Ordensgemeinschaften hat man unterschiedliche Methoden entwickelt, um die Idee der Endlichkeit sehr lebendig zu halten, damit es konkrete Auswirkungen auf das Verhalten in der Welt haben soll. Ein Beispiel wäre für solch eine Methode, sich in ein ausgehobenes Grab hineinzulegen und dort eine Zeit zu verbringen. Die Enge des Grabes zu spüren und so, durch den performativen Akt, das eigene irdische Ende vorauszuahnen.

Damit geht einher, dass man fast eine stoische Haltung zur Welt einnehmen soll, sodass Gutes und auch Schlechtes, was man im Leben erfahren wird, in Dank an Gott, also im sogenannten Alhamdulillah angenommen werden kann.“

Alhamdulillah ist einer der Schlüsselbegriffe in der islamischen Gebetskultur. Dieser Begriff soll den bedingungslosen Dank gegenüber dem Schöpfer ausdrücken. Das Ritual Rabita i-Mevt ist ein Weg, um diese Alhamdulillah-Haltung zu erreichen. Nicht nur asketische Ordensmitglieder, sondern auch einzelne osmanische Sultane haben dieses Ritual regelmäßig praktiziert. Beispielsweise Sultan Selim II. Dieser zog sich in ein kleines Kämmerchen zurück, das ungefähr so groß war wie ein Grab, um über seine eigene Vergänglichkeit nachzudenken.

Verstorbene verabschieden

Ein Imam sitzt im Wohnzimmer einer muslimischen Familie im Rheinland und liest aus dem Koran. Die Verse sind der Seele einer kürzlich verstorbenen Person gewidmet. Die Verstorbenen mit Koranrezitationen ins Jenseits zu verabschieden, ist eine alte Tradition, die auch in Deutschland verbreitet ist. Deshalb kommen bei solch traurigen Anlässen Freunde und Verwandte auch aus größerer Entfernung zusammen und stehen der Familie bei.

Es wird natürlich über den Tod gesprochen, aber ein Großteil der Gäste unterhält sich schon nach wenigen Minuten über weltliche Dinge. Etwa, wo der Leichnam am besten beigesetzt werden sollte, ob in Deutschland oder in der Türkei. Vergänglichkeit und Jenseits aber sind kein Thema – nicht mal auf der Beerdigung. Das Diesseits bestimmt die Gespräche. Ein bekanntes Phänomen für den Bestattungsexperten Karakaya.

„Wenn wir heute über das Ansinnen des Todes sprechen, gibt es Daten, empirische Daten, die zeigen in Deutschland, dass es immer mehr Menschen gibt, die sich als Muslime wahrnehmen, aber gleichzeitig nicht an das Jenseits glauben.“

Jenseitsglauben nimmt ab

Das bedeute laut Erdogan Karakaya, eine islamische Glaubenswahrheit wird entweder nicht verstanden, ist nicht bekannt oder wird abgelehnt. Seiner Ansicht nach sollten islamische Theologen Fragen rund um Tod und Jenseits besser vermitteln. Gelinge das nicht, sterbe auch unter Muslimen das Jenseits aus:

„Wichtig wäre aus theologischer und aus gemeindespezifischer Wahrnehmung heraus, den Jenseitsglauben nochmal neu zu thematisieren innerhalb muslimischer Gemeinschaft auch in Deutschland.“

Ein großes Problem haben viele Muslime in Deutschland mit der Frage: Was passiert mit meinem besten Freund, der Christ ist? Oder: Kommt meine liebe jüdische Nachbarin etwa nicht ins Paradies?

Wer kommt ins Paradies?

Mathias Rohe ist Islamwissenschaftler an der Universität Erlangen-Nürnberg. Er kennt diese Gedanken vieler Muslime und auch die gegensätzlichen Antworten. Die traditionalistische Sicht, oft vertreten von Extremisten, fasst er so zusammen:

„Nein, nur ein Muslim kann im Jenseits ins Paradies kommen, und jeder, der sich nicht zum Islam bekehrt, der ist verloren. Das ist eine Haltung, die oft kritisiert wird, beispielsweise schon mit der Begründung: Na ja, es ist zwar schon aus islamisch-theologischer Sicht so, dass es eine natürliche Bestimmung der Menschen zum Islam gibt, die Fitra‘, aber nicht alle wissen das. Wer in einer nicht-muslimischen Familie groß geworden ist, sozialisiert wurde, vielleicht nie etwas davon gehört hat, dass es einen Islam gibt, soll der wirklich von Gott verworfen sein? Da würden dann, denke ich, viele Muslime sagen: Das kann wohl nicht richtig sein.“

Mathias Rohe beobachtet unter Muslimen in Deutschland eine sich ausbreitende Haltung, die sagt,

„dass auch andere Religionen ihre Wahrheiten haben und wir haben überhaupt kein Problem damit sich vorzustellen, dass man sich irgendwann im Paradies wiedertreffen kann.“

Den Islam leben, Teil 15