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Alkohol und Drogen im Islam

Alkohol und Drogen sind im Islam streng verboten, heißt es oft. Warum aber hat der Jemen dann mit dem Kat eine Art Nationaldroge? Und warum haben die Türken den Raki erfunden? Vielleicht, weil der Koran in einem weinseligen Umfeld entstanden ist – und seine Regeln so eindeutig nicht sind.

Von Hüseyin Topel

Wer schon Mal über einen Basar im Jemen gelaufen ist, dem werden als erstes gefüllte Backen aufgefallen sein. Fast alle Händler, ausschließlich Männer, sitzen in ihren Läden und haben dicke Wangen, als wäre ihnen kürzlich ein Backenzahn gezogen worden. Doch der Grund für die dicke Backe ist tatsächlich eine Droge, das sogenannte Kat. Es wäre nicht übertrieben zu sagen: Der Jemen ist von den jungen Blättern des Katstrauchs regelrecht besessen. Viele Männer, auch Frauen und sogar Kinder verbringen keinen Tag, ohne sich mit dem Rauschmittel in Stimmung zu bringen.

Im selben Jemen wütet seit 2015 ein grausamer Krieg. Es ist auch ein Kampf zwischen zwei islamischen Konfessionen, Sunniten und Schiiten. Die Bevölkerung leidet an Armut und Hunger. Es gibt kaum etwas zu essen, und trotzdem wird auf Eines keinesfalls verzichtet: die Nationaldroge Kat. Wie passt das zusammen mit den Lehren des Islams, zu dem sich die meisten Menschen im Jemen bekennen? Eine Frage für Mathias Rohe, Jurist und Islamwissenschaftler an der Universität Erlangen-Nürnberg:

„Also es gibt eine Grundskepsis in der islamischen Lehre gegenüber Drogen aller Art, wobei unklar ist, was fällt eigentlich unter den Drogen-Begriff.“

Peitschenhiebe

Der Koran geht kaum auf Detailfragen ein. Deshalb gibt es oft gravierende Unterschiede in den Auslegungen. Während die Droge Kat beispielsweise im Jemen von den religiösen Autoritäten freigegeben ist, gilt sie in den meisten anderen islamisch dominierten Ländern als „haram“, also verboten. Der Konsum von leichten Drogen wie Kat oder aber von härteren Mitteln wird in einzelnen islamischen Ländern sogar drakonisch bestraft, weiß Mathias Rohe.

„Traditionellerweise werden da Peitschenhiebe verhängt. In vielen anderen Staaten hat man sich von Körperstrafen mittlerweile abgewendet und verhängt halt irgendwelche Geldstrafen oder Gefängnisstrafen, oder vieles mehr.“

In Deutschland ist die Kat-Pflanze auch unter Muslimen kaum bekannt, dafür wird hier über Cannabis diskutiert. Einige Parteien und Politiker fordern die Freigabe der Hanfpflanze. Nicht dazu gehört Serap Güler, Staatssekretärin für Integration in Nordrhein-Westfalen und gläubige Muslimin.

„Ich bin auch beispielsweise nicht für die Cannabis-Legalisierung, die oft für mich eine Einstiegsdroge ist. Weil ich das aus religiöser Sicht auch angebracht und richtig finde, dass diese Rauschgiftmittel nicht vereinbar mit der Glaubensausübung sind.“

Unklar, was verboten ist und was nicht

Aufgrund der unklaren Formulierungen im Koran wird schon seit Jahrhunderten darüber diskutiert, was genau als Drogen zu bewerten ist. Das betrifft nicht nur Kat und Cannabis, sondern zum Beispiel auch Kaffee.

„Auch da gab es unterschiedliche Meinungen dazu, wobei die wenigen osmanischen Sultane, die versucht haben, den Türken das Kaffeetrinken auszutreiben, sind ziemlich gescheitert mit diesem Unterfangen.“

Tatsächlich wurde im Osmanischen Reich des 16. Jahrhunderts der Kaffeegenuss für eine kurze Zeit verboten – durch den Großmufti des Sultans. Das Verbot konnte aber nicht lange aufrechterhalten werden. Eindeutiger als beim Kaffee ist der Fall beim Thema Alkohol, meint Mathias Rohe:

„Zum Thema Alkohol gibt es noch die klarsten Aussagen. Obwohl auch da im Koran der Begriff Alkohol als solcher nicht auftaucht, sondern der Begriff Khamr etwa, wo unklar ist, was ist da genau gemeint an berauschenden Getränken.“

Darunter verstehe die große Mehrheit der Muslime allerdings pauschal alle alkoholhaltigen Getränke. Obwohl der Koran auch andere Deutungen anbietet:

„Es ist ja bemerkenswert, dass im Koran zunächst auch mal positive Aussagen über den Alkohol getroffen werden. Dass also Nützliches und Schädliches in ihm sei. Das heißt im Übrigen kann man dann schon konsumieren. Erst zum Schluss kommt dann diese Offenbarung: Sure 5, Vers 90.“

„O die ihr glaubt, berauschender Trank, Glücksspiel, Opfersteine und Lospfeile sind nur ein Gräuel vom Werk des Satans. So meidet ihn, auf dass es euch wohl ergehen möge!“

„Alkohol spielt in allen Kriminalstatistiken eine wichtige Rolle“

In der Anfangszeit des Islams war der Alkoholgenuss noch nicht verboten. Das Verbot wurde erst nach und nach eingeführt, weil die Araber damals gerne Alkohol getrunken haben. Heute herrsche über den Sinn dieses Verbots in den theologischen Kommentaren eine einheitliche Meinung, erläutert der Islamexperte Mathias Rohe.

„Nun, der Mensch soll eben bei klarem Verstand bleiben, und der Alkohol raubt dem Menschen den Verstand. Das ist übrigens eine Sichtweise, die das deutsche Strafgesetzbuch ein Stück weit teilt. Jemand, der betrunken ist, gilt als temporär geistesgestört. Und das kann man an manchen öffentlichen Festen, wie soll ich sagen, durchaus empirisch beobachten.“

Beobachtungen, die auch Enes Curuk gemacht hat. Der junge islamische Theologe ist in Justizvollzugsanstalten als muslimischer Seelsorger im Einsatz. Aufgrund seiner Erfahrungen dort könne er ein Alkoholverbot im Islam gut nachvollziehen.

„Da muss ich leider ganz hart mit Alkohol ins Gericht gehen, da der Alkoholkonsum in allen Kriminalstatistiken eine wichtige Rolle spielt. Ich glaube, dass der Alkoholkonsum ein Gefahrenpotential darstellt für die Gesundheit, für das Leben, für das gesellschaftliche und allgemeine Leben der Menschen.“

„Viele finden persönliche Kompromisse“

Dennoch wird auch in islamischen Ländern nach wie vor gerne zum Glas gegriffen. Einige alkoholische Spezialitäten sind sogar in islamischen Ländern entstanden – wie der türkische Raki. Auch Serap Güler lässt sich den gelegentlichen Alkohol-Genuss nicht nehmen, trinkt ab und an ein Glas Wein.

„Ich kenne viele Muslime – ich gehöre selbst dazu – die auf Schweinefleisch verzichten, trotzdem Alkohol trinken. Ich glaube, das ist manchmal auch die Herstellung von eigenen Regeln: An was halte ich mich, an was nicht, was ist wie begründbar. Bei vielen wird es nach wie vor strikt eingehalten, aber viele haben auch für sich selbst Kompromisse für sich selbst gefunden. Oder finden Kompromisse auf das eine zu verzichten, und auf das andere nicht.“

Mathias Rohe weiß, dass dies eine verbreitete Art ist, mit religiösen Ge- und Verboten umzugehen.

„Und man muss auch feststellen, es gilt für Muslime wie für andere Menschen auch. Die halten sich in unterschiedlicher Konsequenz an solche Regelungen. Also, wenn man beispielsweise in der Türkei ist, dann wird man nicht selten auch ein Gläschen Raki zu trinken bekommen – und viele Türken mögen das gerne.“

Den Islam leben, Teil 12 im Deutschlandfunk