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Verschwörung in „Diriliş Ertuğrul“

Die türkische Erfolgsserie „Diriliş Ertuğrul“ erzählt vom Aufstieg des Helden Ertuğrul. Dessen Sohn gründete später das Osmanische Reich. Bezüge zum derzeitigen Staatspräsidenten sind unübersehbar. Und der ist begeistert von den Inhalten.

Von Hüseyin Topel

Köln, Deutzer Werft, im Juli letzten Jahres. Zehntausende Deutschtürken versammeln sich, größtenteils friedlich. Man will gegen den Putschversuch in der Türkei demonstrieren. Doch neben der roten türkischen Fahne mit Mond und Stern sieht man auch andere Flaggen. Es fallen unter den über 30.000 Demonstranten auch vereinzelt blaue Fahnen mit drei weißen Zeichen auf. Die Fahne eines vor-osmanischen Türkenstammes.

Berühmt wurde diese Fahne durch die türkische Erfolgsserie „Diriliş Ertuğrul“. Auf Deutsch bedeutet das „Auferstehung Ertuğrul“. Die Serie erzählt den Aufstieg des Protagonisten Ertuğrul, dessen Sohn später das Osmanische Reich gründet. Der Protagonist kämpft in der Serie gleichzeitig gegen die Kreuzritter, die Mongolen und ihre Kollaborateure aus den eigenen Reihen.

Durch Verschwörungen wird hier ein religiös motiviertes Nationalbewusstsein geschürt und es trägt auch Früchte. Augenzeugen berichten: Noch im November schwärmte ein Imam einer Moschee im Kölner Süden in seiner Predigt von dieser Serie. „Die Schauspieler zeigen, wie wahre Muslime früher gelebt haben. Nehmt sie euch als Vorbilder und eifert ihnen nach“. Das sagte der Imam von der Kanzel herab.

Diriliş Ertuğrul: „Ich bedanke mich bei den Freunden, die diese Serie produzieren“

Und beliebt ist die Serie zweifellos. Die türkische Medienbeobachtungsstelle vermeldet: Seit Erstausstrahlung in 2014 schauen zwei von drei türkischen Fernsehzuschauern diese Serie regelmäßig. Die hohen Zuschauerzahlen weckten schließlich das Interesse der türkischen Regierung. Je populärer die Serie wurde, desto stärker passte sich das Drehbuch an die politische Ideologie der AKP an. In einem Fernsehinterview wurde Erdoğan nach dieser Serie gefragt.

„Ich schaue mir die Serie Diriliş und eine weitere, die das Leben eines anderen osmanischen Sultans thematisiert, regelmäßig an. Wenn wir die dort dargestellten politischen Hinterhalte und Intrigen betrachten, dann sehen wir eines klipp und klar: Das sind exakt dieselben Verschwörungen, die der Westen heute gegen die Türkei einsetzt. So Gott will, wird die Serie Diriliş unserer Jugend eine neue Seele einhauchen. Daran glaube ich fest. Deshalb bedanke ich mich bei den Freunden, die diese Serie produzieren.“

Für den deutsch-türkischen Journalisten Fatih Aktürk ist das ein Geständnis. Der Experte für die türkische Politik glaubt, dass die türkische Regierung die Bevölkerung durch Serien zusätzlich manipulieren möchte.

„Vergleicht man die Feindbilder der aktuellen türkischen Regierung mit den Feindbildern in dieser Serie, muss man fast schon blind sein, um nicht zu erkennen, dass sich hier die vermittelten Inhalte überschneiden. Die Putschisten kooperieren mit dem feindlichen Westen, den Vertretern des Kreuzes, und unterwandern den Staat, um Erdoğan zu stürzen und die Macht zu ergreifen. Erdoğan wird als neuer Ertuğrul präsentiert.“

Die Gedanken des Publikums in Richtung Todesstrafe lenken

Die angeblichen Feinde werden über mehrere Folgen hinweg ausfindig gemacht. Dann nach aufwendig inszenierten Prozessen durch das Schwert von Ertuğrul enthauptet. Peter Vorderer von der Universität Mannheim ist Medienpsychologe und hat sich einige der Enthauptungsszenen angesehen. Er findet:

„Die sind drastisch von der Wirkung. Sie sind gut gemacht, wenn man das Ganze rein vom technischen her beurteilt und haben dadurch ein stärkeres Potential, Zuschauer, Zuschauerinnen einzunehmen, wenn Sie so wollen, fast zu überwältigen.“

Tatsächlich kommen diese brutalen Szenen gut an. Auf YouTube verbinden Fans die Enthauptungsszenen zu einem Videoclip. Sie erreichen Hunderttausende Klicks. Und das in einer Zeit, in der der türkische Staatspräsident die Wiedereinführung der Todesstrafe zur Debatte stellt. In der Türkei will man sie dann gegen politische Gegner einsetzen. Fatih Aktürk erinnert sich verbittert an die Demonstrationen in Köln zurück.

„Der Tag in Köln war insgesamt friedlich, bis auf diesen einen Moment, der mich schockiert hat. Plötzlich skandierte eine kleine Gruppe unter den Demonstranten für die Todesstrafe. In Deutschland. Unter ihnen waren junge Leute, die auch diese blauen Fahnen aus der Serie hochhielten. Da fragt man sich, ob es nicht doch einen Zusammenhang gibt?“

Für den Medienpsychologen Peter Vorderer erscheint ein solcher Zusammenhang durchaus möglich. Selbst wenn in der Serie der Gedanke an die Todesstrafe nicht konkret ausformuliert wird. Bestimmte Szenen regen die Bildung solcher Gedanken an.

„Ich denke, dass viele Filmemacher, auch Autoren natürlich, damit arbeiten, dass sie es nicht ausformulieren, sondern dass sie das Publikum letztlich anregen dazu, diesen Gedanken selbst zu entwickeln. Diese Gedanken sind sozusagen wirkungsmächtiger. Also nicht die Übernahme von dem, was andere, in dem Fall die Protagonisten, denken, sondern ein Gedanke, der im Kopf des Zuschauers, der Zuschauerin entsteht, weil sie bestimmte Konstellationen sieht.“

Parallelen zu IS-Enthauptungsvideos

Die Serie hat Fans in allen Altersgruppen. Es sind Szenen zu sehen, in denen Enthauptungen als gerechte Strafe dargestellt werden.

„Wenn der Protagonist ein charismatischer Leader ist, wenn er Handlungen vollzieht, die gerechtfertigt, geradezu notwendig erscheinen, um gegenüber dem bösen Antagonisten, in dem Fall den vom Ausland kontrollierten Verrätern, letztlich erfolgreich zu sein, dann kann man dadurch natürlich ein Publikum sehr stark einbinden, weil das Publikum sucht schon auch in der Rezeption von solchen Sendungen fast unmittelbar die Guten und die Bösen, die Protagonisten und die Antagonisten.“

Ob die Todesstrafe in der Türkei eingeführt wird, ist noch nicht entschieden. Aber die Zuschauer dieser Serie wären gut vorbereitet.

Erschienen im Deutschlandfunk