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Über die Ehe und Familie im Islam

Die Ehe hat im Islam einen besonderen Stellenwert. Dieses Eheverständnis bringt aber integrationspolitische Hürden mit sich. In unserer Reihe „Den Islam leben“ geht es um Alltags-Fragen von Muslimen. Etwa die Frage: Wen darf ich lieben und heiraten?

Von Hüseyin Topel

Der Islam legt großen Wert auf die Institution der Ehe und fördert die Gründung von Familien. Zahllose islamische Aussprüche über die Bedeutung von Ehe und Familie sind überliefert. Mohammed wird der Satz zugeschrieben: „Unter euch ist derjenige gesegnet, der gut zu seiner Ehefrau ist.“ In einer anderen Aussage hingegen wird die Scheidung zwar als erlaubt bezeichnet, aber als ein von Gott nicht gern gesehener Vorgang. Mathias Rohe, Islamwissenschaftler und Jurist, über die Bedeutung der muslimischen Ehe:

„Das ist die Grundvoraussetzung dafür, dass Menschen unterschiedlichen Geschlechts zusammenleben können und dürfen. Sie hat einerseits eben den Zweck, auch für Nachwuchs zu sorgen, aber auch für menschliche Erfüllung.“

„Es ist im Grunde eine zivilrechtliche Angelegenheit“

Die Ehe an sich wird, ähnlich wie in der katholischen oder evangelischen Kirche, als ein heiliger Bund begriffen. Muslime setzen aber beim Zustandekommen einer Ehe eher auf pragmatische Mittel, sagt der Experte für islamisches Recht, Professor an der Universität Erlangen-Nürnberg.

„Es ist ein bürgerlich-rechtlicher Vertrag, der da zwischen den Beteiligten geschlossen wird, also ist es eigentlich, anders als etwa im Christentum, nicht die Vorstellung, dass das jetzt Gott ist, der die Menschen da zusammenbringt – direkt. Sehr wohl aber hat die Ehe auch eine religiöse Komponente. Man soll heiraten. Schon deswegen, damit man auf dem rechten Weg sozusagen bleibt. Es ist im Grunde eine zivilrechtliche Angelegenheit mit religiösem Beigeschmack – und positiv gesehen.“

Der Gang zum Standesamt, die Trauung nach deutschem Recht, sei für viele Muslime in Deutschland ausreichend, um diese Ehe auch aus islamischer Sicht anzuerkennen. Serap Güler, Staatssekretärin für Integration in Nordrhein-Westfalen, hat in Deutschland geheiratet. Als deutsche Muslimin, findet sie, hat die islamische Trauung heute…

„…eher eine symbolische Bedeutung. Und ist etwas, wo man sagt: Okay, das ist etwas Kulturelles, das ist Tradition, das hält man aufrecht. Aber aus der Ursprungsidee ist das, glaube ich, wird es heute kaum noch wirklich ernst genommen. Und die Ursprungsidee ist ja etwas sehr Schönes, da auch noch mal deutlich zu machen, im Falle einer Trennung wird die Frau nicht ins Nichts fallen.“

„Die Eheverträge sind zum Teil chaotisch“

Dass die islamische Trauung weniger wichtig ist als die standesamtliche Trauung – daran orientieren sich auch die meisten muslimischen Verbände und Vereine in Deutschland, stellt Mathias Rohe zufrieden fest:

„Die zivilrechtliche Ehe ist gut und und nützlich. Die allermeisten Organisationen sagen aber auch: Wir beteiligen uns nicht an religiösen Eheschließungen, bevor die Leute nicht eine Zivilehe geschlossen haben. Einfach deswegen, weil nur die Zivilehe hier rechtlich gültig ist. Und wenn es so ist, dass im Islam die Ehe ein Vertrag ist, dann hilft einem nur ein gültiger Vertrag. Und deswegen – religiöse Ehe allein, so sagen viele, ist nicht in Ordnung, weil es eben den Beteiligten keine Rechte einräumt.“

Zudem seien die meisten islamischen Eheverträge für heutige Verhältnisse ausgesprochen unprofessionell und missverständlich formuliert.

„Was wir aus unserer eigenen Feldforschung wissen – und da waren wir sehr intensiv unterwegs, wir haben Tausende von Eheschließungs- und Ehescheidungsdokumenten gesammelt – da geht es zum Teil wirklich drunter und drüber. Es gibt Organisationen, die schließen irgendwelche Eheverträge ab mit höchst unklarem Inhalt. Man hat den Eindruck, sie verstehen weder vom islamischen Recht sehr viel noch vom deutschen Recht. Das ist ein ziemliches Chaos. Und deswegen ist es sehr wünschenswert, dass dort für mehr Klarheit gesorgt wird.“

„Im Koran sind Frauen keine Menschen zweiter Klasse“

Und wie geht es weiter, wenn der Bund fürs Leben geschlossen ist? Ist die Frau dem Mann untertan? Herrschaftsideologien seien nicht aus dem Islam zu begründen, sagt Enes Curuk, ein junger Muslim, der in Ankara islamische Theologie studiert und eine Zeit lang als Imam gearbeitet hat.

„Ich glaube, man würde dem Koran Unrecht tun, wenn man sagen würde, der Koran berechtigt eher den Mann gegenüber der Frau und Frauen haben weniger Rechte. Oder Frauen sind generell Menschen zweiter Klasse. Das ist so nicht nachvollziehbar und auch so nicht herleitbar. Dafür muss man wirklich schon sehr viel selbst reininterpretieren.“

Diskriminierende Einstellungen gegenüber Frauen würden weder der Koran noch Mohammed fordern.

„Es ist nirgendwo beschrieben, weder im Leben des Propheten, noch im Koran, dass es Frauen untersagt ist, dass sie arbeiten gehen, dass sie für den finanziellen oder wirtschaftlichen Erfolg des Haushaltes nicht zuständig sein dürfen. Männer sollten sich ebenso um die Erziehung und Unterhaltung ihrer Kinder kümmern, genauso wie das die Frauen tun. Ich glaube, dass das auch ein wichtiger und gesunder Weg ist, den Koran aus der Hinsicht zu beleuchten.“

Wer mit wem?

Aber wer darf im Islam eigentlich wen heiraten – und wen nicht? Dazu Mathias Rohe.

„Im Islam geht man grundsätzlich davon aus, dass es nur eine Ehe zwischen Mann und Frau geben kann. Gleichgeschlechtliche Ehen oder Lebenspartnerschaften – das wird noch nicht einmal diskutiert.“

Neben dem Verbot für homosexuelle Ehen sind auch Ehen zwischen näheren Verwandten und sogenannte „Milchverwandschaften“ verboten. Wer also eine gemeinsame Amme hatte, kann nicht heiraten. Mindestens ebenso heikel: interreligiöse Eheschließungen. Hier gibt es allerdings signifikante Unterschiede in den großen Rechtsschulen des Islam.

„Nach schiitischem Recht ist es so, dass es überhaupt keine interreligiösen Ehen geben darf. Nach sunnitisch-islamischem Recht ist es so, dass ein muslimischer Mann eine nicht-muslimische Frau – also Jüdin oder Christin etwa – heiraten darf. Nicht aber umgekehrt.“

Ehebeschränkungen gab es lange auch bei Christen

Während sich Männer ihre Frau frei auswählen dürfen, müssen Frauen hingegen mehrere Regeln beachten. Eine solche Ungleichheit sei in einer Demokratie nicht zu akzeptieren, sagt die nordrhein-westfälische CDU-Politikerin und Integrationsexpertin Serap Güler. Sie erinnert an ähnliche Entwicklungen bei christlichen Deutschen.

„Wenn wir bei uns mal einfach 40 Jahre zurückblicken, dann war das auch alles andere als eine Selbstverständlichkeit, dass ein Katholik eine Protestantin heiratet. Insofern ist diese Diskussion, die wir heute mit Muslimen in Deutschland haben, ja schon etwas, was immer auf die Religion zurückgezogen oder immer mit der Religion begründet wird. Aber es ist nichts, was die hiesige Mehrheitsgesellschaft aus eigener Erfahrung auch in Bezug auf die Religion nicht kennt. Heute ist das für sehr viele, ich will gar nicht sagen alle, für sehr viele überhaupt keine Frage mehr, wenn ein Katholik eine Protestantin heiratet oder umgekehrt.“

„Ein Aufklärungsprozess, der noch Zeit braucht“

Noch ist die Zahl der Muslime, die einen nicht-muslimischen Mann oder eine Frau geheiratet haben, niedrig. Etwa jede zehnte verheiratete Muslimin oder Muslim hat einen andersgläubigen Ehepartner, so Schätzungen. Schon der Gedanke an mögliche religiöse und kulturelle Interessenskonflikte führt viele Muslime dazu, einen muslimischen Partner zu wählen. Losgelöst davon: Curuk, der ehemalige Imam, sieht einen Wandel in den islamischen Gemeinden.

„Nichtsdestotrotz gibt es auch die Entwicklung, dass man sagt: Was zählt, ist Liebe und Glück. Wenn zwei sich liebende Menschen entscheiden, einen gemeinsamen Weg einzuschlagen, dann wird das so respektiert.

Auch Serap Güler beobachtet eine Veränderung.

„Und deshalb möchte ich mir da ehrlich gesagt auch die Hoffnung nicht nehmen lassen, dass das irgendwann mal bei uns auch keine Rolle spielt. Wenn ich alleine an die letzten 20 Jahre denke, gibt es hier schon eine Entwicklung, dass man das weniger unterscheidet, ob es jetzt eine Muslimin oder ein Muslim ist. Ich kenne auch Musliminnen, die sich für einen Nicht-Muslim entschieden haben und wo die Familien am Anfang vielleicht nicht begeistert waren, aber diese Entscheidung letztendlich mitgetragen haben. Und insofern ist das vielleicht auch ein Aufklärungsprozess, was einfach noch Zeit braucht, dass das weniger eine Rolle spielt und somit ja auch verdeutlicht wird, dass man tatsächlich in Deutschland angekommen ist.“

Den Islam leben, Teil 4 im Deutschlandfunk