Den Islam leben, Teil 8 im Deutschlandfunk
Essen und Trinken im Islam. Mett oder Schweineschmalz: Alle diese Lebensmittel sollten bei gläubigen Muslimen normalerweise nicht auf den Tisch kommen. Schließlich stellt der Koran klare Regeln zum Verzehr bestimmter Speisen und Getränke auf. Welche Schwierigkeiten im Alltag bringen diese Regeln für Muslime mit sich?
Von Hüseyin Topel
Es war einmal im November 2018: Da mogelte sich ein Schwein auf die 4. Deutsche-Islamkonferenz des Bundesinnenministers. Es gab auch andere Speisen für die Teilnehmer, die überwiegend Muslime waren. Aber eben auch Blutwurst. Ein gefundenes Fressen für jene Zeitgenossen, die nichts mehr lieben, als im Internet hitzige Debatten oder Kampagnen loszuzutreten. Unter dem Hashtag Blutwurst wurde der vermeintliche Patzer der Gastgeber diskutiert. Einige vermuteten eine antimuslimische Verschwörung. Mathias Rohe, Islamwissenschaftler und Jurist, war auch dabei. Er hat so reagiert:
„Es gibt eine neue Form christlicher Märtyrer. Das sind nämlich diejenigen und ich schließe mich da selber mit ein, die gemerkt haben, jetzt tragen die da Blutwurst rum. Das Schlimme ist ja, die standen nicht auf einem Buffet, sondern das war so ein flying Buffet. Das wurde den Leuten einfach vor die Nase gehalten. Ich hab das gemerkt und ich habe Schüssel um Schüssel gegessen und hab, ich weiß nicht wie viele Menschen davor gerettet, diese Blutwurst zu essen. Ich mag sie auch gerne, muss ich gestehen. Wir haben uns blutwurstmäßig aufgeopfert, dass sie mit den Dingern erst gar nicht in Berührung kommen.“
Haram und halal
Ein Blick in die Koran-Sure 6, Vers 145, zeigt, warum gerade die Blutwurst für die Muslime gleich doppelt verboten ist.
„Sprich: Ich finde in dem, was mir eingegeben worden ist,
nichts, das jemandem zu essen verboten wäre,
außer Verendetem und ausgegossenem Blut und Schweinefleisch –
denn es ist unrein.“
Doch es gibt noch mehr Vorschriften, die die Muslime beachten müssen. Was verboten ist, wird als „haram“ bezeichnet, erklärt Professor Mathias Rohe, Islamwissenschaftler und Jurist an der Uni von Nürnberg und Erlangen.
„Das (Haram) bedeutet, dass man eine Speise oder ein Getränk nicht konsumieren darf. Wenn man es doch tut, begeht man eine Sünde, für die man dann im Jenseits gerade stehen muss.“
Erlaubte Speisen und Getränke werden hingegen als halal bezeichnet. Dieser Begriff dürfte auch vielen Nicht-Muslimen geläufig sein. Die meisten Dönerbuden schmücken ihre Schaufenster mit dem Halal-Schriftzug. Wenn ein gläubiger Muslim die Speisevorschriften beachtet, wird er Restaurants mit dem Halal-Kennzeichen vorziehen. Ohne wirklich zu wissen, welche Kriterien das servierte Fleisch erfüllt. Dazu Mathias Rohe.
„Es gibt Zertifikate, die ausgegeben werden. Da steckt übrigens auch einiges an Geld dahinter und manchmal auch ein recht brachialer Konkurrenzkampf zwischen unterschiedlichen Unternehmen. Letztlich müssen die Leute darauf vertrauen, dass es stimmt, was da auf dem Label steht.“
Nicht nur eine Frage der Tierart
Ein kommerzialisiertes Branding. Doch wer kontrolliert diese Labels eigentlich?
„Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt nicht immer Kontrollen. Es gibt kein wirklich festgefügtes Kontrollsystem. Das heißt, jemand kann behaupten, er hat irgendwelches Fleisch, das entsprechend islamischen Vorschriften geschlachtet ist, verwendet – und das kann keiner so wirklich kontrollieren.“
Dabei vertrauen viele Muslime auf dieses Label. Denn das Wort „Halal“ drückt nicht nur aus, dass es sich bei dem Fleisch um erlaubte Tiere wie Schafe, Kühe und Geflügel handelt, sondern es setzt auch eine besondere Art der Schlachtung voraus. Denn nach islamischer Vorstellung müssen die Tiere im Namen Gottes geschächtet werden. Das heißt: Die Tiere müssen vollständig ausbluten. Zudem muss der Schlachter gottgläubig sein. Nur dann gilt das Fleisch als wirklich halal. Die nordrhein-westfälische Integrationsstaatssekretärin Serap Güler ist eine gläubige Muslimin. Sie findet, dass der Begriff „Halal“ eine tiefere Bedeutung in sich birgt.
„Ist das, was ich esse, was ich mir selbst zum Essen leiste, ist das eigentlich ehrlich verdient oder habe ich jemand anderem wehgetan? Habe ich jemand anderen verletzt, habe ich jemand anderen um seinen Verdienst gebracht, um mir dieses Essen leisten zu können? Wenn ich glaube, wenn ich mir ein Fleischgericht, was nach den islamischen Vorschriften geschächtet wurde, gönne und dieses aber mit Geld, was ich nicht auf ehrliche Art und Weise verdient habe, bleibt es haram.“
Gewissensbisse beim Nachbarschaftsgrillen
Für Muslime in Deutschland kann das Thema Fleisch zu einer echten Herausforderung im Alltag werden, weiß Enes Curuk, ein junger Muslim aus dem Rheinland und ehemaliger Imam.
„Und zwar gibt es da die Fragestellung, ob man als Muslim Produkte aus Geschäften, die nicht mit Halal-Branding arbeiten bzw. Produkte, die an deutschen Bauernhöfen produziert werden, verzehrbar sind für Muslime. Diese Gedanken sind natürlich an Grillfesten an verschiedenen Festen, nachbarschaftlichen Treffen. Diese Gedanken führen natürlich bis in diese Ecken unseres gemeinschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens.“
Um diese Regeln heute noch richtig zu verstehen, blickt der junge Absolvent der berühmten Theologie-Hochschule von Ankara auf den historischen Kontext im Koran. Er will Restriktionen lockern. Auch aus dem Leben Mohammeds sind Überlieferungen bekannt, die zeigen, dass der Prophet da eher locker war. Auf Einladungen von jüdischen Nachbarn reagierte Mohammed freundlich, aß auch von ihren Fleischgerichten. Schließlich handelt es sich bei ihnen um Menschen mit einem Glauben an Gott. So wie auch Juden heute häufig Halal-Restaurants einem klassischen deutschen Restaurant vorziehen. Die Leichtigkeit Mohammeds im Umgang mit der Fleisch-Frage könnte auch den Alltag vieler Muslime in Deutschland einfacher gestalten. Und abgesehen davon, sei kein Muslim in Deutschland gezwungen, Schweinefleisch zu essen, meint CDU-Politikerin Serap Güler:
„Es gibt sicher jene, die ein Problem damit haben, aber man kann sich in der Kantine für ein vegetarisches Gericht entscheiden, wenn man auf bestimmte Riten nicht verzichten möchte oder darauf pocht, dass sie eingehalten werden oder sich für einen Salat entscheiden.“
Essen und Trinken: „Soll ich als Gast diesen Schweinebraten essen?“
Das kann auch Lale Akgün unterschreiben, eine ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete und Verfechterin eines liberalen Islams. Aber manchmal geht sie auch noch weiter. In einem Deutschlandfunk-Interviewerzählte sie, wie sie reagierte, als sie Schweinebraten serviert bekam:
„Ich war eingeladen – und bei dieser Einladung wurde Schweinebraten serviert und normalerweise fragen immer Gastgeber, was man einem Moslem vorsetzen kann. Das hat man diesmal nicht gemacht. Und ich war vor die Frage gestellt, soll ich jetzt die Gastgeber darauf hinweisen, dass sie es versäumt haben, mich zu fragen, und sie dann auf ihren Fehler hinweisen? Oder soll ich als Gast jetzt diesen Schweinebraten essen und einfach die Gastfreundschaft über ein Stück Schweinefleisch stellen?“
Lale Akgün habe sich für die Gastfreundschaft entschieden. Ihr Argument leitet sie aus derselben Sure ab, in der das Schweinefleisch zunächst explizit verboten wird. Es ist die Fortsetzung der Sure 6, Vers 145 im Koran:
„Doch wenn jemand sich in einer Zwangslage befindet, ohne Begehrlichkeit zu hegen und eine Übertretung zu begehen – nun, dein Herr ist vergebungsbereit und barmherzig.“
Der junge Muslim Enes Curuk hat bei dieser Art der Auslegung seine Bedenken.
„Den Verzehr von Schweinefleisch aus koranischer Perspektive zu legitimieren, ist gewagt. Obwohl es nicht nur an einer, mehr als ein, zwei Stellen klar untersagt wird – und zwar mit dem Verweis: „Nicht essen!“ Ich glaube, dass man sagt, man darf genug essen, um nicht zu sterben in Extremsituationen – das ist außer Frage gestellt, das stimmt natürlich. Situationen, in denen man Gastgeber nicht bloßstellen möchte, sind Situationen, die im Ermessensspielraum dieser Menschen liegen. Und ich glaube, dass wir trotzdem in einer Gesellschaft leben, in der wir diese Situationen meistern können. Und ich glaube, dass auch Gastgeber sich nicht bloßgestellt fühlen müssen in solchen Situationen, sondern da auch bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und dafür einzustehen.“
Wie steht es mit Alkohol?
Ein anderes islamisches Verbot betrifft den Konsum von alkoholischen Getränken. Auch eine heikle Frage, meint die Integrationsbeauftragte Serap Güler.
„Ich kenne viele Muslime – ich gehöre selbst dazu – die auf Schweinefleisch verzichten, trotzdem Alkohol trinken.“
Mathias Rohe dazu: „Es gibt die Aussage, dass Gutes und Schlechtes im Alkohol zu finden sei – und dann ist es irgendwann verboten. Wobei man sich daran eigentlich nicht immer gehalten hat. Manche sagen beispielsweise – eine ganze Schule sagt, dass Bier erlaubt ist unterhalb der Schwelle des Betrunkenwerdens, also, dass nur der Wein verboten sei. Und man muss auch feststellen, es gilt für Muslime wie für andere Menschen auch: Die halten sich in unterschiedlicher Konsequenz an solche Regelungen. Also, wenn man beispielsweise in der Türkei ist, dann wird man nicht selten auch ein Gläschen Raki zu trinken bekommen, und viele Türken trinken das gerne.“
Viele machen Kompromisse bei Essen und Trinken
Auch der junge Muslim Enes Curuk kennt viele Muslime, …
„sich sehr als religiös beschreibende Menschen, die auf den Alkoholgenuss nicht verzichten und zwar ganz bewusst nicht verzichten.“
Im Islam wurde der Alkohol schrittweise verboten. Der Sinn dieses koranischen Verbotes von Alkohol sei auch heute noch gültig, meint Enes Curuk.
„Da muss ich leider ganz hart mit Alkohol ins Gericht gehen, da der Alkoholkonsum in allen Kriminalstatistiken eine wichtige Rolle spielt. Ich glaube, dass Alkohol ein Gefahrenpotential darstellt für die Gesundheit, für das Leben, für das gesellschaftliche und allgemeine Leben der Menschen und kann dadurch ein Alkoholverbot durchaus nachvollziehen. Ich persönlich könnte da als Theologe auch keinen Spielraum sehen, wo ich sagen könnte, Alkohol ist erlaubt und auch nachvollziehbar.“
Der Umgang mit den islamischen Speisevorschriften erscheint als eine sehr individuelle Angelegenheit, die Meinungen gehen zum Teil weit auseinander. Die Muslime in Deutschland haben in vielen Punkten ihre ganz persönlichen Kompromisse mit ihrer Religion gemacht. Die eine auf diese, ein anderer auf die andere Art und Weise.
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