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Friedhof für Verräter

Istanbul – Reaktionen auf „Friedhof für Verräter“

In der Türkei herrscht seit zwei Monaten der Ausnahmezustand. Nach dem gescheiterten Putschversuch wurden Zehntausende aus dem öffentlichen Dienst entlassen. Die sogenannte „Säuberungswelle“ erfasst Lebende – aber auch Tote: Der Oberbürgermeister von Istanbul hat einen Friedhof für Verräter des Landes errichten lassen. Dabei beruft er sich auf den Islam.

Von Hüseyin Topel

„Auf unseren Friedhöfen ist kein Platz für diese Verräter. Sie brauchen einen eigenen Friedhof, damit jeder, der dort vorbeigeht, sie verfluchen kann. Sie sind sowieso bereits in der Hölle. Das sagt uns unser Glaube.“

Mit diesen Worten trat Kadir Topbas, der Istanbuler Oberbürgermeister, direkt nach dem gescheiterten Putschversuch am 15. Juli vor eine wütende und aufgebrachte Volksmenge. Er kündigte an, einen Friedhof nur für Putschisten und Landesverräter anlegen zu lassen, wo die Geächteten lediglich verscharrt würden. Der erste, der dort beigesetzt wurde, war ein Soldat, der am Putsch beteiligt war, so die Berichte regierungsnaher türkischer Sender. In den Nachrichten hieß es:

„Im Bezirk Pendik, einem Ort am Rande von Istanbul, hat die Stadtverwaltung von Istanbul diesen Friedhof auf einer Gesamtfläche von 1.000 Quadratmetern direkt neben einem Tierheim errichtet. Die Verräter, die dort begraben werden, werden ohne Ritus und ohne religiöse Zeremonie bestattet.“

Als dieser sogenannte ‚Friedhof für Verräter‘ international für heftige Kritik sorgte, schaltete sich die türkische Religionsbehörde Diyanet ein. Sie soll Oberbürgermeister Kadir Topbas aufgefordert haben, die Beisetzungen auf diesem Friedhof einzustellen. In einer Fernsehsendung stellte der Istanbuler Oberbürgermeister dies dann so dar:

„Die Religionsbehörde hat mir empfohlen, das Schild mit der Inschrift „Friedhof für Verräter“ zu entfernen, weil das die Angehörigen verletzen könnte.“

Beisetzungen gehen im Geheimen weiter

Kritische Beobachter in Istanbul gehen davon aus, dass auf diesem umstrittenen Friedhof auch weiterhin Beisetzungen stattfinden. Sie würden aber nicht mehr öffentlich gemacht, sagt Caner Aver, Wissenschaftler am Zentrum für Türkeistudien:

„Laut Medienberichten zufolge soll bisher nur eine Person dort begraben sein. Weitere Informationen liegen uns auch nicht vor. Allerdings haben wir mitbekommen, dass auch in Ordu, in der nordtürkischen Stadt, ein Oberbürgermeister es abgelehnt hat, einen Toten, der mit dem Putschversuch in Verbindung gebracht wird, zu begraben in einem städtischen Friedhof, sodass die Familie ihn dann mitgenommen hat und im Garten begraben haben soll. Möglicherweise gibt es mehrere solcher Fälle, die aber nicht an die Öffentlichkeit geraten.“

Auch der Fall eines in Untersuchungshaft verstorbenen Lehrers sorgte für Aufsehen. Nach übereinstimmenden Medienberichten war er Diabetiker. Ihm wurden in der Haft zwei Wochen lang seine lebenswichtigen Medikamente verweigert, was zu seinem Tod geführt haben soll. Der Vater des verstorbenen Lehrers trat jetzt in einer Nachrichtensendung auf:

„Was hat mein Kind denn getan? Er hat mit all diesen Vorwürfen nichts zu tun. Als ich meinen toten Sohn abholen wollte, sagten sie mir, dass er auf dem ‚Friedhof der Verräter‘ begraben werden soll. Sie wollen seinen Leichnam nicht waschen, ihn nicht in ein Leichentuch wickeln, und es soll auch kein Totengebet für ihn gesprochen werden. Dabei haben sie ihn noch nicht einmal verhört. Trotzdem steht für sie fest, dass er ein Landesverräter ist.“

„Kein Respekt gegenüber den Toten“

Ali Bas ist Landtagsabgeordneter in Nordrhein-Westfalen und verfolgt die Geschehnisse in der Türkei. Für ihn ist der ‚Friedhof der Verräter‘ ein Skandal und nicht mit dem Islam vereinbar.

„Diese Aussagen sind erschreckend, und mich als Muslim erschrecken sie umso mehr, weil ich das eigentlich anders kenne, dass man Verstorbenen gegenüber einen Respekt zeigt.“

Zur traditionellen Bestattung im Islam gehört zunächst, den Leichnam zu waschen und in ein Totentuch zu wickeln. Dann wird der Tote in einem einfachen Sarg in den Hof der Moschee gebracht, wo sich die Gemeinde versammelt, um mit dem Imam ein kurzes Totengebet zu sprechen. Anschließend fragt der Imam die Anwesenden: „Verzeiht ihr diesem Menschen? Und die Menge erwidert dreimal: „Es sei ihm verziehen“. Wenn alles dies nicht stattfindet, wird dem Verstorbenen die letzte Ehre verweigert. Der Politiker Ali Bas sagt dazu:

„Wenn ich zum Gebet in der Moschee war und es stellte sich heraus, dass danach noch ein Totengebet ist – dass ich daran teilgenommen habe, war für mich selbstverständlich, weil es in meinem Glaubensverständnis erstmal keine Rolle spielt, wer da verstorben ist und was die Hintergründe sind. Dem Verstorbenen eine letzte Ehre erweisen, das ist eigentlich Glaubenspflicht.

Auch bei der ‚Ditib‘, dem deutschen Ableger der türkischen staatlichen Religionsbehörde, lehnt man einen Friedhof für Verräter ab. Für Zekeriya Altug, zuständig für Außenbeziehungen der Ditib, verletzen Muslime damit ein religiöses Tabu.

„Ein solcher Friedhof bestraft die Menschen über den Tod hinaus. Das ist nicht die Aufgabe der Menschen. Und weiterhin bestraft ein solcher Friedhof auch sein gesamtes Umfeld. Seine Verwandten, seine Nachkommen und diese Menschen werden stigmatisiert. Damit schafft man dort nicht nur eine Trennung unter den Toten, sondern man spaltet auch die Gesellschaft unter den Lebenden weiter.“

Demütigung über den Tod hinaus

Eine gesellschaftliche Spaltung über den Tod hinaus mussten jüngst auch die Angehörigen von Tarik Akan erleben. Der türkische Schauspiel-Star hatte sich als Laizist und Kemalist immer für eine strikte Trennung von Staat und Religion ausgesprochen. Kurz nachdem sein Tod bekannt wurde, wurde er im Internet massiv beschimpft und beleidigt. Dazu der Türkei-Experte Caner Aver:

Diejenigen, die sich für Menschenrechte, für Demokratie einsetzen, säkular eingestellt sind, westlich orientiert sind, werden letzten Endes verteufelt. Tarik Akan war ein Mensch, der sich gegen die Regierung aufgelehnt hat und letzten Endes durch seinen Tod der Glauben ihm auch abgesprochen wurde. Plakativ dafür war beispielsweise, dass kein einziger hoher Vertreter der Regierung beim Begräbnis da war, sondern der Altpräsident Sezer, der vor Abdullah Gül 2002 Präsident war.

Für Zekeriya Altug von der Ditib ist der Tod eines Menschen, ganz gleich um wen es sich handelt, eine Grenze, die auch bei politisch anders Denkenden nicht überschritten werden darf.

Demütigung

„Wenn ein Mensch auf dieser Welt einen Fehler begeht, dann sind dafür die Gerichte zuständig, um ihn zu verurteilen und dann auch dafür zu sorgen, dass in der Gesellschaft Frieden herrscht. Wenn ein Mensch bereits verstorben ist, dann entzieht er sich dieser Gerichtsbarkeit. Der Mensch ist dann zurückgekehrt, zu seinem Schöpfer, zu Gott. Von daher steht es dem Menschen nach islamischem Glauben nicht zu, die Menschen über ihren Tod hinaus weiter bestrafen zu dürfen.“

Nun geht es bei den Bestattungsriten im Islam nicht nur um den Toten, sondern auch um die Lebenden. Denn die einzelnen Rituale einer Beisetzung ermöglichen es den Hinterbliebenen, in angemessener Form Abschied von dem Verstorbenen zu nehmen. Der türkischstämmige Landespolitiker Ali Bas:

„Für die Angehörigen ist es natürlich auch wichtig, weil sie damit dem Toten auch eine letzte Glaubenspflicht erfüllen, für sie auch selbst eine Form von Trost finden. Ich glaube, das ist psychologisch sehr wichtig, dass man das in aller Sorgfalt macht.“

Bestattungsriten haben auch soziale Funktionen. Die Mehrheitsmeinung der türkischstämmigen Deutschen ist eindeutig: Sie lehnen ‚Friedhöfe  für Verräter‘ ab. Denn wenn dort die üblichen Riten verboten sind, soll der Tote über den Tod hinaus bestraft und gedemütigt werden. Er wird nicht nur willkürlich aus seiner Religionsgemeinschaft ausgeschlossen, sondern es wird auch Unfrieden unter den Lebenden gestiftet.

Erschienen im: Deutschlandfunk