Sonntag mitten in der Innenstadt von Heilbronn. Ein Meer aus türkischen Flaggen. Ein Imam betet für die türkischen Soldaten – 600 Türkisch-stämmige feiern den Krieg gegen die Kurden in Nordsyrien. Die Kurdenmilizen – für sie alles Terroristen.
von Heiner Hoffmann und Hüseyin Topel
O-Ton:
„Diejenigen, die es als Provokation empfinden, die soll es auch provozieren. Das ist mir relativ egal, weil es sind Terroristen. Jeder, der die unterstützt, darf ruhig sich provoziert fühlen.“
O-Ton:
„Wir stehen zu unserem Land und wir sind da halt. Wir stehen hinter der Türkei.“
O-Ton:
„Wir sind heute hier, um unser Land zu verteidigen. Um unser Land, unseren Soldaten zu zeigen, dass wir hier sind. Dass wir zu ihnen stehen, dass wir hinter ihnen stehen.“
Ihr Land – das ist die Türkei. Die Reden: hetzerisch.
O-Ton:
„Wir sind heute hier, um unsere Löwen zuhause zu unterstützen, die auf der Jagd nach Kötern sind. Wir haben die ganze Welt in die Knie gezwungen. Wir gegen die gottlosen Barbaren mit den Rufen Allahs.“
Die Stimmung ist gereizt. Ein kurdischer Aktivist hängt in Sichtweite eine Fahne auf – die Demonstranten reagieren umgehend.
O-Ton:
„Hurensohn!“
Nur mit Mühe halten Ordner und Polizei sie zurück. Etwas später eine ähnliche Szene – wieder kommen kurdische Gegendemonstranten in die Nähe der türkischen Demo.
Nur 500 Meter entfernt – hier demonstrieren Kurden gegen den Einmarsch der Türkei in Nordsyrien.
Auch hier reicht die kleinste Provokation von türkischer Seite, um die Emotionen hochkochen zu lassen.
O-Ton:
„Terrorist Erdogan! Terrorist Erdogan!“
Von oben soll jemand ein Feuerzeug auf die kurdischen Demonstranten geworfen haben.
Frage: Was ist passiert?
O-Ton:
„Feuer. Feuer – so gemacht. Feuer.“
Frage: Feuerzeug?
O-Ton:
„Ja, ja.“
O-Ton:
„Komm runter!“
O-Ton, Rainer Köller, Polizei Heilbronn:
„Das Aggressionspotential ist sehr hoch einzuschätzen auf jeden Fall. Man spürt also richtig, wie das Temperament hochschaukelte, bei der kleinsten Provokation.“
Wir erfahren: Bei den Kurden seien auch mutmaßlich gewaltbereite Demonstranten aus anderen Städten angereist – bereit für eine Eskalation.
O-Ton:
„Das Einzige, was in uns kocht, ist das kurdische Blut, was in Rojava fließt. Das ist das, warum wir nicht still bleiben können.“
O-Ton:
„Zwischen Kurden und Türken, es kann einige Schlägereien geben, alles kann passieren. Man weiß nicht, was passiert.“
O-Ton:
„Erdogan. Der soll sterben. Dann hat die Welt Freiheit.“
Und wir hören immer wieder Rufe der verbotenen kurdischen Terrororganisation PKK. Ihr Anführer: Abdullah Öcalan.
O-Ton:
„Öcalan. Öcalan. Öcalan. Öcalan.“
Sein Name wird mehrfach skandiert – offenbar sind heute einige PKK-Sympathisanten dabei.
Wir treffen den Türkeiexperten Burak Çopur. Er beobachtet die Demonstrationen in Deutschland sehr genau. Der Großteil auf beiden Seiten sei friedlich – doch es gebe militante Gruppen, die die Stimmung aufheizen.
O-Ton, Prof. Burak Çopur, Türkei-Experte:
„Es gibt natürlich eine Gewaltbereitschaft auch unter den Kurdinnen und Kurden hier in Deutschland. Das sind die extremistischen Kreise, militanten Gruppen unter den Kurden. Aber der Großteil der Kurden, würde ich doch sagen, verhält sich hier sehr friedlich und nimmt an diesen friedlichen Protesten teil, um auch diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zu verurteilen.“
Doch tatsächlich kam es in den vergangenen Tagen an mehreren Orten zu solchen Szenen: Übergriffe auf türkische Einrichtungen und Schlägereien zwischen kurdischen und türkischen Gruppen.
Sicherheitsbehörden sagen: Oft wurde vor und nach den Übergriffen von türkischer Seite der Wolfsgruß gezeigt.
Auch hier in Heilbronn finden wir den überall. Er ist das Erkennungszeichen der rechtsextremen türkischen Grauen Wölfe – eine ultranationalistische Organisation, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Auch ihre Fahnen und weitere oft genutzte Zeichen – überall präsent.
Dann gibt es eine Live-Schalte zu den Soldaten im Kriegsgebiet. Auch sie grüßen die Menge mit dem Wolfsgruß – und die Menge grüßt zurück.
O-Ton:
„Hoch lebe das großtürkische Reich, mit uns waren die Grauen Wölfe.“
Wer ist der Hauptredner dieser Demo, der in Eintracht mit den Rechtsextremisten die Menge anheizt, als ihr Führer vorgestellt wird?
Allein auf Facebook hat Tugrul Selmanoglu fast 300.000 Follower. Er ist einer der einflussreichsten Figuren in der Türkei-stämmigen Community. Und: Er hat engste Verbindungen zu Erdogans Regierungspartei AKP. Organisiert deren Wahlkampf in Deutschland mit.
Auch der Verfassungsschutz hat den AKP-Agitator auf dem Schirm. Selmanoglu sieht die Türken als Opfer.
O-Ton, Tugrul Selmanoglu:
„Meine Meinung ist: Dieser Konflikt gehört nicht nach Deutschland, ganz ehrlich. Also weder die PKK-Seite noch die türkische Seite sollten eigentlich gezwungen sein, hier dagegen zu protestieren.“
Frage: Aber tragen Sie ihn nicht auch mit nach Deutschland mit solchen Veranstaltungen?
O-Ton, Tugrul Selmanoglu:
„Ja, natürlich, aber wir müssen ja irgendetwas dagegensetzen, wenn jeden Tag, jede Woche zumindest gegen unser Land gehetzt wird.“
O-Ton, Burak Çopur, Türkei-Experte:
„Das Erdogan-Regime hat natürlich ganz viele Scharfmacher unter den Influencern, die diese Stimmung auch transportieren in die türkisch-stämmige Community. Und das ist natürlich ganz einfach zu sagen: ‚Wir als Staat haben uns da völlig zurückgehalten.‘ Und auf der anderen Seite gibt es aber Kanäle, die der AKP nahestehen, die durch ihre provokante Sprache hier weiter Öl ins Feuer gießen.“
Provokateure auf beiden Seiten, Aggressionen, gewaltsame Konfrontationen – dieser Konflikt wird uns wohl noch lange beschäftigen.
Erschienen im ARD Report Mainz