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Der Mahdi im Islam

Fantasien von der Apokalypse treiben in nahezu allen Religionen die Gläubigen an. Bereits seit Jahrhunderten denkt der Mensch über das Ende der Welt nach und möchte schon im Diesseits einen guten Platz für das Jenseits ergattern. Auf der richtigen Seite zu stehen ist für viele die Schlüsselqualifikation. Aspekte, die den weltlichen Untergang bescheren sollen, variieren je nach Religion. Der Islam bietet dabei eine besonders spannende Figur, die am Ende der Zeit mitmischen soll. Wer er sein könnte und welche Unterscheidungen innerhalb des Islams existieren, hat für uns Hüseyin Topel recherchiert.

Von Hüseyin Topel

Fantasien von der Apokalypse treiben in nahezu allen Religionen die Gläubigen an. Bereits seit Jahrhunderten denkt der Mensch über das Ende der Welt nach und möchte schon im Diesseits einen guten Platz für das Jenseits ergattern. Auf der richtigen Seite zu stehen ist für viele die Schlüsselqualifikation. Aspekte, die den weltlichen Untergang bescheren sollen, variieren je nach Religion. Der Islam bietet dabei eine besonders spannende Figur, die am Ende der Zeit mitmischen soll. Wer er sein könnte und welche Unterscheidungen innerhalb des Islams existieren, hat für uns Hüseyin Topel recherchiert.

Ende Dezember fand in der Türkei zum dritten Mal der „Kongress der Islamischen Union“ statt. Laut Veranstalter seien dabei Teilnehmer aus rund 40 islamischen Ländern weltweit zusammengekommen, um die Fragestellung zu erörtern, wie es der islamischen Welt gelingen könnte, eine gemeinsame Verteidigungsindustrie zu errichten.

Organisiert wurde der Kongress durch den umstrittenen türkische Verein ASSAM, dessen Vorsitzender der 75-jährige Adnan Tanriverdi ist. Der ehemalige türkische Brigadegeneral war oberster Verteidigungs-Berater des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, bis er am Rande der Veranstaltung dieses Interview von sich gab:

“Es wird eine islamische Union geben. Wann und wie? Wenn der ehrenwerte Mahdi auf die Erde kommt. Wann er erscheint, weiß Gott. Doch es ist unsere Aufgabe, die nötige Atmosphäre für sein Auftauchen zu schaffen.“

Rücktritt nach Mahdi-Vorstoß

Mit diesen Worten beschrieb Tanriverdi die höchste Zielsetzung seiner Initiative. Kritik folgte prompt. Die türkische Öffentlichkeit ahnte hier eine Anspielung auf den türkischen Präsidenten Erdogan als Mahdi. Auf anhaltende Kritik aus weiten Teilen der Bevölkerung trat Tanriverdi von seiner Beratertätigkeit zurück. Offiziell hieß es „aus Altersgründen“. Simon Fuchs, Islam- und Nahostwissenschaftler am Orientalischen Seminar der Universität Freiburg kennt solche Fantasien.

“Das Mahdi-Konzept regt über die Jahrhunderte hinweg immer wieder die Imagination von Muslimen an.” 

Als Mahdi wird nach islamischer Überzeugung ein Nachkomme des Propheten Mohammed bezeichnet, der in der Endzeit auftauchen und das Unrecht auf der ganzen Welt beseitigen soll. Schiitische und sunnitische Muslime gehen hier übereinstimmend von einem Mahdi aus, der als Krieger auftreten wird. Eine solche Prophezeiung weckt Begehrlichkeiten. Es ist zwar unklar, wie viele Personen sich bis heute bereits als Mahdi ins Gespräch gebracht haben.

Mahdi-Thema hat sich historisch entwickelt 

“Wir haben sehr frühe Mahdis, schon im 8. Jahrhundert, in der ersten muslimischen Herrscherdynastie der Umayyaden. Da war das allerdings ein Konzept von Herrschern, die besonders aufrecht und rechtschaffen waren und denen es darum ging, jetzt sich abzugrenzen von Vorgängern, die vielleicht sehr auf Nepotismus gesetzt hatten.“

Doch Dynastien konnten nie das Problem mit der Nachfolge lösen. So haben immer wieder andere das Amt des Mahdi für sich beansprucht. Zwei Ereignisse, in denen der Mahdi eine Rolle spielt, beschäftigten auch die europäische Öffentlichkeit: zum einen der Mahdi-Aufstand in Sudan Ende des 19. Jahrhunderts. Damals hatte ein Aufständischer, der sich Mahdi nannte, eine große britische Armee besiegt. Zum anderen das Jahr 1979. Dazu Simon Fuchs: 

“Letztes Jahr hatten wir das 40. jährige Jubiläum des Jahres 1979 und dort war dann die Besetzung der großen Moschee in Mekka durch eine Gruppierung, die auch den Mahdi in ihren Reihen glaubte, ein großer Schock für die Weltöffentlichkeit. Ich denke punktuell wurde dieses Konzept immer wieder fruchtbar gemacht.” 

Auch im Kontext mit der iranischen Revolution 1979 spielte das Mahdi-Motiv eine Rolle. 

“Als die Gerüchte kursierten, dass Khomeinis Gesicht auf dem Mond zu sehen ist. Khomeini wurde schon zu dieser Zeit, im vorrevolutionären Iran, als es schon gebrodelt hat, auch immer schon als Imam bezeichnet. Damit wurde ganz bewusst auch gespielt. Ob er vielleicht wirklich der Mahdi ist, oder der verborgene 12. Imam.”

Khomeini habe das dann nicht weiter verfolgt, habe sich sogar meistens dagegen gewandt. 

In der sunnitischen Erzählung ist die Rolle des Mahdi weniger klar als in der schiitischen. Die Idee ist: Jesus kommt zurück und nach ihm auch der Mahdi. Er soll eine Armee anführen und gegen die anti-islamischen Kräfte, die sich alle um den Antichristen scharen, kämpfen und ihn besiegen. Doch das Phänomen Mahdi gehört im sunnitischen Islam nicht zu den Glaubenspflichten. Diese Erläuterung macht ein türkischer Theologe aus der staatlichen Religionsbehörde Diyanet im dazugehörigen staatlichen Fernsehsender Diyanet TV.

“Das Konzept des Mahdi zu bezweifeln ist kein Abfall vom Glauben, da es nicht explizit im Koran steht. Jedoch gibt es Überlieferungen des Propheten zu diesem Thema und der Großteil der muslimischen Gelehrtenschaft bestätigt dies. Ich plädiere dafür, dieses Thema aus politischen Diskussionen rauszuhalten.”

Andere widersprechen. Beispielsweise Ahmet Mahmut Ünlü, auch bekannt als “Ahmet im Gewand”. Eine führende Figur der Ismail-Aga Ordensgemeinschaft. Staatspräsident Erdogan besucht deren mittlerweile dementen, geistigen Führer regelmäßig und lässt sich dabei medienwirksam ablichten. “Ahmet im Gewand” hier zu hören in einem politischen Talkshow-Format eines regierungsnahen Senders, macht punktgenaue Beschreibungen vom Mahdi, der zu erwarten sei.

“Der Mahdi wird auf die Welt kommen. Er wird in Medina auf die Welt kommen. Er wird von Hassan, einem Enkelkind von Mohammed abstammen. Sein Name wird Mohammed sein und der Name seines Vaters Abdullah. Selbst seine Körpergröße ist bekannt.”

Sunniten beziehen Infos von Schiiten

Ganz offensichtlich beziehen sunnitische Theologen diese Details aus schiitischen Quellen. Denn im Gegensatz zum sunnitischen Islam ist die Rolle des Mahdi im Schiitentum theologisch klar aufgearbeitet. Dazu der Experte für Schiitentum Simon Fuchs:

“Hier haben wir eine Abfolge von Imamen, von Nachkommen des Propheten Mohammed, die die schiitische Gemeinschaft führen sollen, die auch eine kosmologische Rolle haben. Aber für die schiitische Gemeinschaft war das Problem, dass der 11. schiitische Imam verstorben ist, 874, ohne ein Nachkommen zu haben.” 

Die schiitische Theologie habe es dann so gelöst, dass er doch einen Sohn hatte, den er aber verstecken konnte. Dieser Sohn lebe seit dem Jahre 941 in der sogenannten großen Verborgenheit. 

“Also er ist irgendwo auf dieser Erde im Abgeschiedenen, von wilden Tieren bewachten Ort. Er wird dann aber tatsächlich wiederkommen und dann die ursprüngliche Versprechung des Propheten und auch der schiitischen Imame erfüllen.” 

Die Hoffnung auf den Mahdi aus den eigenen Reihen

Viele islamische Gemeinschaften hoffen, eines Tages den Mahdi aus den eigenen Reihen zu stellen. So gibt es auch heute immer wieder Gerüchte über einen möglichen Anwärter dieser Position. Wichtig sind in diesem Kontext Prophezeiungen Mohammeds. Eine entscheidende Schlacht in der Vorhersage beflügle deshalb türkische Varianten der Mahdi-Erzählung, so Fuchs.

“Dadurch, das einer der Endschlachten dann auch stattfinden wird, dass die Muslime dann wieder Konstantinopel erobern, kann man natürlich, wenn man selber einen türkischen Hintergrund hat, bietet sich das geographisch natürlich auch sehr an, das so anzupassen an politische, gegenwärtige Gegebenheiten.” 

In diesem Rahmen wurden die Aussagen des ehemaligen Erdogan-Beraters als bewusste Andeutungen aufgegriffen. 

“Aber ich glaube für politische Zwecke bietet sich gerade diese Ambivalenz, die wir da gesehen haben, auch an.”

Erschienen im Deutschlandfunk