In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch feiern Muslime mit einer besonderen Zeremonie in den Moscheen die Miraç-Nacht. Vor 1500 Jahren soll der Prophet gen Himmel emporgestiegen sein, nach Zwischenstationen in Mekka und Jerusalem. Das Fest ist innerislamisch umstritten. Salafisten bestreiten, dass Mohammed Gott gesehen hat.
Von Hüseyin Topel
In vielen Religionen gibt es heilige Tage, die von den Gläubigen besonders hervorgehoben werden. Am Donnerstag in dieser Woche zum Beispiel feiern die Christen „Christi Himmelfahrt“. Ein ähnliches Fest gibt es auch im Islam. Denn heute Nacht begehen die Muslime weltweit den Tag der Himmelsreise des Propheten Mohammed.
Allerdings gibt es unter Muslimen unterschiedliche Meinungen darüber, wie dieser Tag zu verstehen sei. Erfahren Sie mehr dazu in einem Beitrag von Hüseyin Topel.
Nach der Tradition soll heute vor etwa 1500 Jahren der Prophet Mohammed eine Reise in den Himmel angetreten haben. Mohammed habe das Paradies als einen Ort unvorstellbarer Schönheit beschrieben, in das man durch die acht Tore des Paradieses gelangt. Über den Ort jedoch gibt es keinen eindeutigen Hinweis. Aus diesem Grund feiern die Muslime die sogenannte Miraç -Nacht. Die Islamwissenschaftlerin Muna Tatari von der Universität Paderborn erklärt die Bedeutung des Wortes Miraç:
„Es ist ein arabischer Begriff und von der gleichen Wurzel leitet sich ein Wort ab, was so etwas wie Leiter bedeutet. Es ist die Assoziation von Emporsteigen, von einer Sphäre in die nächste zu gehen.“
In dieser besonderen Nacht gehen Muslime traditionell in die Moschee und nehmen an religiösen Zeremonien teil. Es werden Predigten gehalten, Lieder gesungen, Passagen aus dem Koran kunstvoll rezitiert und Gottes Namen gesungen.
Die Ereignisse der geheimnisvollen Himmelsreise Mohammeds werden in der Überlieferung mit lebhaften Bildern beschrieben. Muna Tatari sagt:
„Was wir aus der Propheten-Biografie dazu wissen ist, dass es die Geschichte gibt, dass Mohammed geschlafen hat und er geweckt wurde und er auf diesem Himmelstier, einer weißen Stute, die Burak genannt wird, zuerst von Mekka nach Medina geritten ist und dann die Himmelsreise gemacht hat.“
Mohammed soll bei dieser Reise neue Stufen seiner Spiritualität erreicht haben und dadurch noch mehr von Gott gesehen haben, als ihm überhaupt gestattet war.
„In der allgemeinen Tafsir-Literatur sagt man, dass die Sure 53 – die ersten Verse – sich darauf beziehen und dass er in Höhen aufgestiegen ist, zu denen selbst der Großengel Gabriel keinen Zugang mehr hatte und er dort eine unmittelbare Begegnung mit Gott hatte“ , erläutert Muna Tatari.
Angesichts dieser außergewöhnlichen spirituellen Erfahrung soll ein islamischer Mystiker gesagt haben, wenn er solch eine hohe Stufe im Himmel erreicht hätte, wäre er nicht wieder auf die Erde zurückgekehrt.
„Ein Prophet will zurückkehren und die Geschichte verändern.“
„Und das ist eben das prophetische Moment daran. Ein Mystiker will es vielleicht nicht, aber ein Prophet will zurückkommen und – gestärkt durch diese Erfahrung der Gottesbegegnung – schwingt in den Lauf der Geschichte ein und will die Geschichte verändern.“
Die Himmelsreise soll sich in einem besonderen Lebensabschnitt Mohammeds ereignet haben. Denn damals hatte er seine Frau Khadidje und seinen Onkel Ebu-Talib verloren.
„Die ganzen Jahre davor waren Jahre der Bedrängnis, die deswegen für Mohammed händelbar waren, weil er unter dem Schutz seines Onkels Ebu-Talib stand. Khadidje ist an den Folgen des Boykotts der Mekkaner gestorben. Und im gleichen Jahr ist Ebu-Talib gestorben. Das waren zwei geliebte Menschen für ihn und ich denke, das hat schon zu einer Art Krise geführt, in die man diese Himmelsreise auch kontextualisieren kann. Wenn wir die Sure 93 nehmen, da heißt es ja: ‚Mohammed war umherirrend – daal – in der Suche nach Gott.'“
Aber gerade darüber, wie diese mystische Himmelsreise des Propheten verstanden werden kann, gibt es bei Muslimen unterschiedliche Meinungen. Dazu die Islamwissenschaftlerin Muna Tatari:
„Da gibt es innerislamisch unterschiedliche Erklärungsmodelle, aus der islamischen Tradition heraus. Wir haben einmal das Erklärungsmodell, dass er tatsächlich mit seinem Körper in einem Nu von Mekka nach Jerusalem gereist ist – und in den Himmel. Und es ist schon aber sehr früh innerislamisch diskutiert worden, dass es eine Reise des Geistes war, und dadurch nicht weniger wahr. Aber da gibt es sozusagen innerislamisch eine Vielfalt an Ansichten und Interpretationen dessen, was wir an überlieferten Texten dazu haben.“
Salafisten akzeptieren nur die eine Version
Eine besonders radikale Position wird von vielen Salafisten vertreten. Denn nach ihrer Vorstellung fällt ein Muslim vom Glauben ab, wenn er annimmt, dass Mohammed Gott gesehen habe. In diesem Zusammenhang erinnert Muna Tartari an eine inzwischen vergessene islamische Tradition, nach der unterschiedliche Meinungen im Glauben selbstverständlich toleriert wurden.
„Wenn Sie sich die Arbeiten von Olivier Roy, einem französischen Islamwissenschaftler angucken, dann analysiert er sehr gut, dass fundamentalistische Strömungen im Islam ein Phänomen der Moderne ist, wo es um Eindeutigkeit geht, was an sich nicht schlecht ist. Aber um Eindeutigkeit, die andere Positionen diffamiert und ihnen sozusagen eine Existenzberechtigung abspricht, da wird es dann problematisch. Und das ist in der Tat ein Phänomen der Moderne, die auch mit Traditionsabbruch zu tun hat, wo innerislamisch nicht mehr so das Bewusstsein vorhanden ist, dass gerade Meinungsverschiedenheit praktiziert wurde über Jahrhunderte hinweg.“
Bei solchen Überlieferungen wie der Himmelsreise des Propheten unterscheiden islamische Theologen in der Regel verschiedene Vorstellungen von Wahrheit. Muna Tartari:
„Also, dass wir einmal die Ebene der Wahrheit haben auf der historischen Ebene, ‚in was für einem Kontext hat Mohammed gelebt?‘, und dann habe ich die Wahrheit auf der Ebene der Prinzipien, auf der Ebene von Werten und Normen. Da kann ich mir angucken: ‚Was für eine Relevanz kann das für uns haben?‘ Und da hat die islamische Theologie eine Antwort drauf, indem sie sagt: Die persönliche Himmelsreise des einzelnen Gläubigen ist das fünfmalige, tägliche Gebet. Und wenn ein Gebet gut läuft, und man es schafft nicht daran zu denken, ob der Herd ausgeschaltet ist und was man noch bügeln muss und was man vielleicht lernen muss, sondern wenn man wirklich es schafft sich zu konzentrieren, steckt in dem fünfmaligen, täglichen Gebet die Potenz, eine Gotteserfahrung zu machen. Und das ist das, wo die Geschichte eine persönliche Wahrheit bekommen kann.“
Das erkläre auch den besonderen Stellenwert des islamischen Pflichtgebets. Denn nach der Überlieferung hat Mohammed das Gebet schließlich als göttliches Geschenk von seiner Reise in den Himmel mitgebracht. Muna Tatari:
„Und es gibt ja auch diese wunderbare Erzählung, wie Mohammed wieder herabgestiegen ist, am Ende des Himmelstors Moses begegnet ist. Und Moses gefragt hat, wie viele Gebete hat Gott dir denn für deine Gemeinde gegeben? Und Mohammed sagt 40. Und Moses sagt: ‚Das wird zu schwer sein! Gehe zu Gott und bitte ihn um weniger.'“
Nach dieser Erzählung verhandelt Mohammed mit Gott, bis es schließlich nur noch fünf Gebete waren.
„Und Gott kommentiert das und sagt in der Überlieferung: ‚Wenn jemand aufrichtig fünfmal am Tag betet, so wird es sein, als hätte er vierzigmal am Tag gebetet.'“
Erschienen im Deutschlandfunk
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