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Rückblick 2018 – Ciao Adios I´m Done

Wieder geht ein Jahr vorüber. Der mentale Übergang ist längst eingeläutet. Es ist Zeit zu pausieren. Aber nur kurz, denn das neue Jahr beginnt aus meiner Sicht sehr schnell. Schon am 2. Januar zieht es mich ins Deutschlandfunk-Studio. Es werden gleich zwei Beiträge aufgezeichnet, die schon am 3. und am 4. Januar gesendet werden.

Für die Deutschlandfunk-Sendung „Tag für Tag“ haben wir eine Sendereihe über den Islam konzipiert. Wir wollen, losgelöst von Verbandsapologetik und von politischen Erscheinungen rund um den Islam, eine Reihe an Themen behandeln, die das aktive Leben der knapp 5 Millionen Muslime in Deutschland berühren. Die deutschen Muslime gibt es und sie leben auf die eine oder andere Art und Weise schon längst ihren deutschen Islam. Diese Serie wird Einblicke in alltägliche Probleme, Konflikte und brennende Fragestellungen gewähren und theologische, rechtliche und soziologische Zusammenhänge erklären. Es geht also um die Lebenswirklichkeit von Muslimen in Deutschland.

Mein Rückblick auf 2018 – Lichte Momente und dunkle Seiten

Das Jahr 2018 fing für mich mit einem großen Schock an. Meine Großmutter erkrankte plötzlich schwer. Sie musste in die Herzklinik in Wuppertal überwiesen werden. Nach einem enormen Herzinfarkt blieb sie 10 Tage auf der Intensivstation. Sie überlebte diese 10 Tage, war bei Bewusstsein und hatte Gott sei Dank kaum Schmerzen. Dennoch litt sie unter den Umständen. Nach 10 Tagen ging es in die OP. Diese war von vornherein äußerst riskant aber unausweichlich. Nach mehreren Komplikationen und weiteren zwei operativen Eingriffen hat sie diesen Kampf nicht überstanden. Die Ärzte riefen uns in der Nacht an: „Es ist soweit. Bitte kommen Sie her um Abschied zu nehmen.“

Meine Großmutter – Kein gewöhnlicher Verlust 

Doch ihren Verlust haben wir auf der weltlichen Ebene sehr schnell vergessen. Vergessen müssen. Meine Familie wurde eigentlich dazu gezwungen. Durch die politischen Zustände in der Türkei stellte sich uns sehr schnell die Frage, wie das mit der Beerdigung klappen soll. Ich rief einen türkischen Verbandsvertreter vertraulich an. Wird meine Großmutter würdig behandelt werden? Der Vertreter drückte sein Beileid aus: „Herr Topel, gar keine Frage. Ich sorge persönlich dafür, dass ihre gesegnete Oma wie alle anderen Menschen auch, würdig behandelt wird“. Für mich eine Erleichterung. Unvorstellbar, aber solche Dinge sind heute keine Selbstverständlichkeit mehr.

Ja klar, ich bin ein unangenehmer Journalist, aber kein Lügner, kein Verleumder. Ich recherchiere intensiv und schreibe nur über einwandfrei belegbare Dinge. Alles andere könnte ich moralisch auch nicht vertreten. Alles andere würden zumindest meine Redakteure auch gar nicht senden.

Tatsächlich ist der Leichnam meiner Großmutter ohne Probleme in der Türkei beigesetzt worden. Nur waren wir, wie bei der Beerdigung meines Großvaters mütterlicherseits in 2017, erneut ausgeschlossen. Dieses Gefühl ist kaum in Worte zu fassen. Man fühlt sich irgendwie wie eine leere Hülse. Der Geist in mir, meine Seele war wie fragmentiert. Als würde ich an diesen Tagen bei jeder Erinnerung an meine Großmutter ein Stück von meiner Seele loslassen und mich ihr gegenüber ständig schuldig fühlen. Ich hätte ja auch einen anderen Beruf ausüben können, einfach ein anderer Mensch sein. Ja, ich fühlte mich schuldig. Dafür ein Journalist zu sein. Dafür, ein auffälliger Investigativ-Journalist über die Türkei zu sein… Es hätten sich doch andere um den Einfluss der türkischen Politik in Deutschland kümmern können. Ich hätte auch, wie es andere Kollegen tun, immer unter einem Pseudonym arbeiten können. Ich hatte mich anders entschieden. Falsch entschieden? Oma… Ich weiß nicht, aber es tut mir so leid. Ich liebe und vermisse Dich! So sehr wie damals als ich drei war. Ich werde für Dich aus dem Koran lesen und zu Gott beten, dass wir uns im Jenseits wieder sehen.

Eine Widmung an meine Großmutter

Mit diesem Deutschlandfunk Beitrag habe ich eine Anekdote, eine Widmung für sie produziert. Das Jenseits und die Muslime.

Die Inhaftierung meines Großvaters

Dann ereignete sich kurz nach dem Tod meiner Großmutter etwas, was alles überschattete. Bei der Einreise mit dem Leichnam seiner Geliebten, wurde mein Großvater am Flughafen von Izmir verhaftet. „Onkel, du musst leider mit uns mitkommen. Es gibt einen Haftbefehl.“

Mein Großvater ist ein türkischer Gastarbeiter, er hat viele Jahre in Deutschland gearbeitet und mit den Ersparnissen ein wunderschönes Mehrfamilienhaus in Izmir gebaut. Das war der Traum meiner Großeltern, den sie sich verwirklicht haben. Und sie haben einander versprochen, eines Tages in ihrer Wunschheimat Izmir gemeinsam beerdigt zu werden. Um dieses Versprechen seinerseits einzulösen ist mein Großvater ganz einsam in den Flieger gestiegen. Als wäre dieser Schmerz nicht schon ausreichend, auch noch das. „Onkel, uns sind leider auch die Hände gebunden“. Das sind die Worte einer der verlegenen türkischen Beamten.

Später, so berichtet mein Großvater heute, hätten ihn die jungen Polizisten durchweg gut behandelt. Doch wie bitter ist die Tatsache, dass sie ihn am Ende eines Tages zum Schlafen trotzdem in ein Zimmer mit Gittern gebracht haben. „Ich habe so getan, als würde ich es den Jungs nicht übel nehmen, damit sie kein Ärger kriegen. Aber wenn du siehst, wie eine Tür mit Gittern zu deinem Schlafplatz zugeschlagen wird, tut das sehr weh. Ich habe leise geweint, um meine Emine getrauert und zu Gott gebetet“, erzählt mein Großvater schweren Herzens. Die Staatsanwälte haben zwar früh genug erkannt, dass sie einen unschuldigen Mann festgenommen haben, aber keiner wollte einen Freispruch verantworten. So mussten wir hier in Deutschland tatenlos zusehen, wie mit unserem trauernden Familienoberhaupt umgegangen wurde. Und man fühlt sich einfach ohnmächtig.

Großvater verwechselt mit Sohn

Es stellte sich später heraus, dass sie meinen Großvater für meinen Vater gehalten haben. Mein Vater, ein einfacher Apotheker mit einer Nähe zur Gülen-Bewegung, wurde in der Türkei als ein Terrorist denunziert. Er engagiert sich in einem kleinen Verein, dessen Mitglieder gemeinsam die Lehren von Fethullah Gülen idealisieren und dessen Idee, Schulen zu errichten, um ein gottgefälliges Leben zu führen, als ihre private Angelegenheit umgesetzt haben. Ich habe durch meinen Vater einen Einblick in diese Gemeinschaft bekommen. Ich war nie Mitglied dieser Organisation. Auch nicht in dem Verein, dessen Vorsitzender mein Vater ist. Mein Vater und seine Freunde sind aufrichtige und tolle Personen, die in ihrer zivilen Freizeit einen Dienst an ihr Umfeld leisten wollen. Ihr Engagement wird von weiten Kreisen applaudiert. Das was sie tun, tun sie nur für ihren Gott. Außerdem handelt es sich bei diesen Personen um grundlegend unpolitische Persönlichkeiten. Wenn mein Vater und seine Freunde heute gewusst hätten, wozu eines Tages ihre Sympathie und Partizipation in der Gülen-Bewegung führen kann, würden sie sich nicht in ihr beteiligen. Das haben mir betroffene Personen so deutlich zugegeben.

Trennen zwischen Türkei und Deutschland

Für mich müssen zunächst einmal die Bewegung in der Türkei und die hiesigen Vereine voneinander separat betrachtet werden. Um über die Geschehnisse in der Türkei urteilen zu können, fehlen mir wesentliche Informationen. Gleichwohl gibt es Indizien für die Beteiligung von mutmaßlichen Gülenisten am Putschversuch vom 15. Juli 2016. Jedoch glaube ich, dass die Schuld nur diese beteiligten Personen betreffen kann und eine generelle Verfolgung dieser Menschen unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten eine klassische Hexenjagd darstellt. Zudem wurde seitens der türkischen Regierung, der türkischen, bzw. kurdischen Opposition keine hinreichenden Belege vorgelegt, die zu einer international anzuerkennenden Kriminalisierung dieser Organisation ausreichen. Ohnehin gilt für mich als Bürger Deutschlands ein völlig anderer Maßstab. Wie der deutsche Verfassungsschutz, der deutsche Geheimdienst, der deutsche Staat eine Bewegung bewertet zählt. Fragwürdige politische Positionen undemokratischer Staaten und politischen Parteien sowie Persönlichkeiten mit grundlegenden Defiziten in der demokratischen Einstellung (dazu zähle ich ALLE Parteien in der Türkei, sowie ihre Faksimile und Ableger in Deutschland!) beeindrucken mich nicht. Auch ihre Lobby nicht.

Denunzierung, Diffamierung und Gesinnungsprüfung – Hexenjagd in Deutschland

Wer in Deutschland lebt und türkische Themen behandelt, spürt die politischen Zustände in der Türkei hautnah. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Hier leben viele Türken, die für die Türkei relevant sind und durch die türkischen Politiker berührt werden. Zugleich befinden sich hier seit Jahrzehnten Ableger türkischer Organisationen. Alle versuchen einen Einfluss auszuüben und ihre eigenen Hoheitsfelder zu entwickeln. Wer in diese Wespennester tritt, wird automatisch angefeindet oder denunziert. Seit 2016 herrscht aber ein deutlich feindlicheres Klima. Insbesondere gegenüber kritischen Journalisten. Daran hatte ich mich beinah gewöhnt, bis diese Denunzierung, Diffamierung und Gesinnungsprüfung plötzlich aus einer ungewohnten Ecke kam. Ein deutscher Kollege transportierte die Hexenjagd der türkischen Politiker nach Deutschland und das mittels eines Pranger-Journalismus. Er reihte von mir stets offen kommunizierte Einzelheiten aneinander und lieferte eine wahre „Meisterleistung“. Bemerkenswert war, wie sich die türkische Fassung von der deutschen Version signifikant unterschied. Ein Hinweis auf die Motivation? Deutlicher wurde dies, als der Beitrag kaum von Kreisen aus dem Umfeld der AKP Verbreitung fand, sondern an erster Stelle von linken türkischen Portalen und pro-kurdischen Aktivisten in Deutschland. Während sich aus meiner Perspektive das Lager der Kampagne abzeichnete, wurde ich von mehreren Quellen darauf aufmerksam gemacht, dass auch der türkische Geheimdienst in einem Verhältnis mit dieser Person steht. Was sich nach einem türkeipolitischen WirrWarr anhört, ist aus meiner Expertenposition betrachtet wenig verwunderlich. Wer in der Türkei als Freund und Feind eingestuft wird und inwiefern Freund und Feind oft genug miteinander kooperieren, ist irritierend.

Wie ein DHKP-C Mitglied sah, dass seine Organisation für den Feind arbeitet

In Griechenland habe ich während einer Recherche-Reise eine bemerkenswerte Person kennengelernt. Ein drahtiger Mann aus der Türkei, ein Kurde, der viele Jahre ein aktives Mitglied der als terroristisch eingestuften DHKP-C war, lebt heute dort unter menschenunwürdigen Verhältnissen. Er ist aus der Türkei geflohen, weil er vor seiner eigenen Organisation nicht mehr sicher war. Er hat sein Leben dieser Organisation gewidmet. Und der gemeinsamen Sache. Doch wo soll jemand hin, der sein eigenes Leben für die eine Sache völlig aufgegeben hat, aber gleichzeitig Zeuge davon wird, dass diese Organisation mit dem eigenen Feind kooperiert? Dass die DHKP-C für den Tod zahlreicher unschuldiger Personen verantwortlich ist, ist eine unbestreitbare Tatsache. Dass die DHKP-C den türkischen Staat anfeindet ebenso. Doch die Erkenntnis darüber, dass die DHKP-C durch den türkischen Staat unterwandert ist und im Verdeckten gemeinsame Ziele verfolgt, hat diesem Mann den Lebenssinn geraubt. Seither hat er sich in Griechenland abgesetzt und lebt ein einsames Leben. Wieso ich diese wirre Geschichte hier erzähle? Diese Geschichte zeigt mir heute, dass ein linker, als pro-kurdisch einzustufender Mann in Deutschland sehr wohl zugleich mit dem türkischen Geheimdienst arbeiten kann. Oder vielleicht ausschließlich für den türkischen Geheimdienst? Auch möglich. Eine weitere Möglichkeit: Der türkische Geheimdienst ist mittlerweile so einfach gestrickt, dass sie ihn als wichtige Quelle betrachtet und seine Hirngespinste abkauft. Auch möglich. Meine Recherche in diesem Streitfall geht vorerst weiter.

Lichte Momente in dunklen Zeiten

Unabhängig davon, habe ich viele gute Gründe, das vergehende Jahr 2018 nicht endgültig abzuschreiben. Im Gegenteil. Das Jahr 2018 war für mich sehr bewegend und motivierend. In diesem Jahr habe ich mich journalistisch sehr gut entwickelt. Ich habe noch nie für so viele hochkarätige Redaktionen gearbeitet, wie in 2018. Meine Qualitäten haben mich durch ganz Deutschland gebracht. In zahlreichen Recherchen habe ich die exklusiven und ausschlaggebenden Inhalte geliefert. Während dieser oben nur kurz angerissenen bösartigen Kampagne gegen meine Person und meine wirtschaftliche Existenz, habe ich Redaktionen und Redakteure an meiner Seite gesehen, die für mich die größte Auszeichnung bedeuten. Eine Anerkennung für meine Qualitäten und meinen Wert in diesem Haifischbecken.

Eine Anerkennung meiner Arbeit war auch die Tatsache, dass sich in diesem Jahr vor allem der Deutsche Journalistenverband in NRW an meine Seite gestellt hat und mir während der Diffamierungskampagne vollen Rechtsschutz gewährt hat. Ich möchte an dieser Stelle einen ganz besonderen Dank an das DJV-Landesverband NRW richten! Es ist schön ein Teil des DJV zu sein. Für Journalisten in Deutschland eine so unverzichtbare Stütze!

Im kommenden Jahr möchte ich meine journalistischen Arbeitsfelder und Redaktionen weiter konzentrieren, um noch mehr spannende und exklusive Recherchen zu platzieren. Und im Moment entsteht eine großartige Sendereihe im Deutschlandfunk. Während viele Kreise den Islam auf die eine oder andere Art politisieren, möchten wir einen sachlichen Zugang zu den wirklich wichtigen Fragen rund um den Islam schaffen. Die ersten 15 Themen stehen fest. Die ersten Sendetermine ebenso. Am 03. Januar im Deutschlandfunk zu hören ist „Der Beginn des Lebens“ und am Tag darauf „Sexualität und Verhütung“. Ich werde im kommenden Jahr einen Newsletter beginnen und nicht mehr nur noch am Ende eines Jahres so einen riesigen Text verfassen. Wer Interesse an diesem Newsletter hat, kann mir gerne eine Mail schreiben. Gerne an info@huseyintopel.com.

Und jetzt ist genug. 2018, Ciao Adios I´m Done!