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Sex und Verhütung im Islam

Den Islam leben, Teil 2 im Deutschlandfunk

Sex – der intimste Akt zwischen zwei Menschen ist auch bei manchen Muslimen in Deutschland ein sensibles Thema, verbunden mit Tabus sowie mit gesellschaftlichen und kulturellen Gewohnheiten. Aber was hat Scham mit dem Islam zu tun?

Von Hüseyin Topel

Sex sells!“ – Eine bekannte Phrase aus der Werbebranche, die genau das bedeutet, was sie ausdrückt: Viele Dinge lassen sich besser verkaufen, wenn sie sexualisiert werden. Der Unterhaltungssektor weltweit nutzt dies. Das irritiert Menschen mit einem ausgeprägten Schamgefühl – und zwar in vielen Kulturkreisen, auch bei Muslimen. Die nordrhein-westfälische Staatssekretärin für Integration, Serap Güler, stammt aus einer traditionell-türkischen Gastarbeiterfamilie und kennt diese Sensibilität aus der eigenen Jugend.

„Ich muss ganz ehrlich sagen, was das Thema Sexualität betrifft, ist es nach wie vor so, dass auch viele Muslime in Deutschland mit dem Thema sehr verkrampft umgehen und nicht, auch wenn sie hier sozialisiert worden sind, irgendwie einen normalen Zugang zur Sexualität haben. Mag auch eine Erziehungsfrage sein. Auch ich bin so aufgewachsen, dass, sobald irgendwie eine Kussszene im Fernsehen lief, umgeschaltet wurde.“

„Der Islam ist überhaupt nicht prüde“

An solche Reaktionen der Eltern dürften sich viele Muslime in Deutschland erinnern – und auch Nicht-Muslime. Professor Mathias Rohe dagegen, Jurist und Islamwissenschaftler an der Universität Erlangen-Nürnberg, skizziert das Verhältnis des Islams zur Sexualität so:

„Sexualität hat einen hohen Stellenwert, der Islam ist überhaupt nicht prüde, in dem Sinne: Sexualität, wenn es unbedingt sein muss, für Fortpflanzung. Nein! Da gibt es durchaus eine positive Grundeinstellung.“

Dem kann Enes Curuk nur zustimmen. Er ist 28 Jahre alt, lebt im Rheinland und hat in Ankara islamische Theologie studiert:

„Wir können aus dem Koran herauslesen, dass die Sexualität zum Menschen, zum Wesen an sich, dazugehört, dass sie ein Teil seines Wesens ist. In der Hinsicht würden wir da auch aus koranischer Sichtweise und auch aus dem Leben des Propheten herausfiltern können, dass Sexualität durch und durch, also durch die gesellschaftlichen Schichten hindurch, sowohl beim Mann als auch bei Frau ein selbstbewusstes Thema ist.“

Sex – Die Vorschriften sollten ursprünglich schützen

Dennoch gibt es im Islam auch klare Spielregeln, die oft als Verbote aufgefasst werden. Etwa: kein Sex während der Menstruation oder kein Sex während des Fastens im Ramadan. Und: Der Islam versucht, die Sexualität zu kanalisieren. Sex ist ausschließlich zwischen Eheleuten gestattet. Diese Regel habe einen historischen Ursprung, erläutert Mathias Rohe:

„Es wird beschrieben, dass der Islam in einer Gesellschaft entstanden ist, in der Promiskuität vorgeherrscht hat, in der äußerst liberale sexuelle Sitten geherrscht haben sollen. Wir wissen es nicht so genau. Und da versucht man, die Sache in ordentliche Kanäle zu bringen, sprich: Sexualität ist nur innerhalb der Ehe erlaubt.“

In Erzählungen aus der vor-islamischen Zeit in Mekka wird deutlich, dass Frauen eine minderwertige Rolle zugedacht war. Schon eine Tochter auf die Welt zu bringen, galt als Demütigung. Hunderte kleine Mädchen wurden in vor-islamischer Zeit im Kindesalter von zwei, drei Jahren bei lebendigem Leibe verscharrt. Frauen wurden von wohlhabenden Männern gekauft und verkauft. Sex mit ihnen war eine Selbstverständlichkeit, erklärt Enes Curuk.

„Diese Unordnung und diese Willkür in den sexuellen Praktiken der Menschen rufen nicht nur Krankheiten hervor, so wie wir sie auch heute kennen. Das erzeugt auch Nebeneffekte. Das heißt, Sex ist nur ein Mittel zum Zweck – und alles andere ist nebensächlich.“

„Man hat immer dieses Schuldgefühl“

Der Islam dagegen sicherte den Frauen Rechte zu. Das Sexualleben auf das Ehebündnis zu beschränken war ein wesentlicher Schritt. Doch wie sieht es heute aus? In der modernen Welt des 21. Jahrhundert könnten sich viele dieser Probleme erübrigt haben. So argumentieren zumindest manche Vertreter des liberalen Islams. Doch in der Realität sieht es auch heute noch ganz anders aus, meint der Islamwissenschaftler und Jurist Mathias Rohe.

„Jedenfalls in den Köpfen und Herzen vieler, was junge Frauen und Frauen insgesamt angeht. Daran zeigt sich, dass jedenfalls der traditionelle Islam eben auf einem kulturellen Patriarchat aufbaut, wie auch andere Religionen übrigens. Im Grunde, von der Theorie her sollte es da eigentlich keine Unterschiede geben. Praktisch gibt sie es sehr, sehr verbreitet, also die Vorstellung: ‘So ein junger Mann – der soll sich schon mal ausprobieren dürfen! Das ist keine Schande, wenn er irgendeine Frau rumkriegt!‘ Das wird weithin akzeptiert, auch wenn es im Grunde nach der islamischen Theologie auch nicht zulässig wäre.“

Auch die CDU-Politikerin und Integrationsexpertin empfindet diesen Unterschied zwischen jungen muslimischen Männern und Frauen als ungerecht:

„Ich glaube, die Konflikte sind bei Musliminnen stärker als bei Muslimen. Man hat ja schon den Eindruck, dass Männer, auch wenn sie sich selbst als gläubig definieren, da einen viel freieren oder ungehemmteren Umgang mit Sexualität haben, als das bei Frauen der Fall ist. Und das sind ganz stark die Konflikte, wenn gerade junge Musliminnen das Gefühl haben, auch wenn man länger mit jemandem zusammen ist, die Sexualität nicht ausleben zu dürfen. Also, ob man es macht oder nicht, ist etwas anderes. Aber man hat immer so dieses Schuldgefühl, wenn man sich frei zu seinem sexuellen Bedürfnis als Mensch einfach auch bekennt oder es zulässt, dass man jetzt etwas Verbotenes und etwas Sündhaftes tut. Ich glaube diese Konflikte sind nach wie vor bei Männern weniger.“

Wie umgehen mit Missständen?

Enes Curuk macht sich aus theologischer Perspektive Gedanken darüber, wie diese Missstände beseitigt werden können.

„Wie können wir vermeiden, dass muslimische Frauen durch muslimische Männer, also durch Männer in ihrer eigenen Familie, immer noch unterdrückt werden, immer noch gezwungen werden, immer noch zwangsverheiratet werden im Namen von Kultur und Religion? Ich bin der festen Überzeugung, dass dies primär durch einen Missstand in der sexuellen Aufklärung und Erziehung dieser Männer zu tun hat.“

Enes Curuk pocht darauf, Sexualität anders zu vermitteln. Und zwar islamisch korrekt:

„Die Sexualität an sich auf den sexuellen Akt zu begrenzen, ist aus islamischer Sicht ein fataler Fehler, denn er erzeugt die eben besagten Probleme, dass Sex ein Mittel zum Zweck ist, vor allem ein Mittel, durch das die Frau in Augen der Männer unter anderem erniedrigt wird, weil sie das Mittel zum Zweck darstellt. Ich glaube, das der sexuelle Akt vor allem auch als ein, im wahrsten Sinne des Wortes, als ein Liebesakt verstanden werden sollte.“

Verhütung beim Sex stark umstritten

Mit Sexualität verbunden ist die Verhütung ein wichtiges Thema. In dieser Frage gibt es zwei muslimische Fronten. Die einen empfehlen, von modernen Verhütungsmitteln Gebrauch zu machen. Andere wiederum sagen, so Mathias Rohe:

„,Nein, Verhütung ist streng verboten. Das ist ein Import aus dem Westen. Die versuchen, uns nur zu schwächen. Es ist doch gut, wenn wir sehr viele Menschen sind.´ Und die deswegen der Verhütung gegenüber sehr skeptisch eingestellt sind. Auch da haben wir gelegentlich solche kulturellen Ausprägungen, die im Grunde gar nicht im Islam wurzeln, sondern in der Vorstellung, es ist gut, wenn eine Familie möglichst viele Häupter zählt – und zwar insbesondere männliche Häupter.“

Der junge Muslim Enes Curuk verweist auf Mohammed, um so die Position von Verhütungs-Gegnern zu entkräften.

„Letztendlich wissen wir aus einigen Überlieferungen des Propheten, die auf Fragestellungen seitens der Gefährten sich herauskristallisiert haben, dass der Prophet Verhütungsmethoden, die die damals praktiziert wurden, gebilligt hat, bzw. in einigen Überlieferungen auch quasi selbst praktiziert.“

Sexualität und Verhütung sind innerhalb der muslimischen Gemeinde also ein heißes Eisen. Die Standpunkte gehen weit auseinander.