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Sind Tattoos im Islam erlaubt?

Darf ich mich tätowieren lassen? Viele junge Muslime beschäftigt die Frage, was der Islam dazu sagt, wenn sie ihren Körper manipulieren. Sind Tattoos also halal – oder haram, also Sünde?

Von Hüseyin Topel

Tattoos sind ein heißes Eisen in der islamischen Welt – besonders im Internet. Hier zu hören: Stimmen aus Deutschland und aus anderen Ländern zur Frage, wie der Islam und Tätowierungen zusammenpassen. Die ablehnenden Stimmen überwiegen. Besonders Extremisten fluten das Internet mit radikalen Ansichten.

„Sich tätowieren zu lassen oder jemanden zu tätowieren ist haram und gehört zu den großen Sünden.“

Im Netz wird diskutiert

Doch es gibt auch junge Muslime, die sich offen zu ihren Tätowierungen bekennen. So wie diese junge Muslimin aus den USA. Sie trägt die muslimische Kopfbedeckung, hat sich aber doch ein Tattoo stechen lassen.

„Das ist eines meiner meistgesehenen Videos überhaupt. Meine ganz persönliche Tattoo-Geschichte.“

Allein dieses Video wurde von mehreren Hunderttausend Menschen angesehen. Diese enorme Reichweite zeigt: Solche Fragen beschäftigen junge Muslime im Alltag. Mathias Rohe ist Islamwissenschaftler und Jurist an der Universität Erlangen-Nürnberg. Er kennt diese Diskussionen im Internet.

„Ich bin auf ein Chat gestoßen, wo diskutiert wird, darf ein Muslim sich ein Tattoo stechen lassen? Wo manche sagen: ‚Nee, es gibt doch ganz klare Aussagen des Propheten Mohammed, dass das verboten ist‘. Andere sagen: ‚Na ja, muss jetzt ein Maori beispielsweise, der sich traditionell hat Tattoos stechen lassen – fährt er deswegen jetzt in die Hölle? Oder ist es nicht notwendig. Kommt es vielleicht auf die Intention an, warum man das macht? Wenn sich einer sogar so ein schönes religiöses Motiv tätowieren lässt. Ist das nicht eigentlich etwas Gutes?‘“

„Du darfst an deinem Körper nichts ändern!“

Das fragt sich auch Esra. Sie ist 28 Jahre alt und lebt in Köln. Sie wollte immer ein Tattoo haben, wenn es ihre Religion nicht verbieten würde. Zumindest wurde ihr das von ihrer Familie so vermittelt.

„Ich weiß eigentlich nicht viel darüber. Denn ich habe eigentlich nichts darüber nachgelesen oder recherchiert, warum ich das nicht darf. Ich bin nur damit aufgewachsen: ‚Du darfst an deinem Körper nichts ändern, das ist verboten!‘ Das war dann okay für mich, obwohl ich das schön finde und auch gerne eins haben würde.“

Auch der 16-jährige Aykut kommt aus einer religiösen muslimischen Familie mit traditionellen Ansichten. Angesprochen auf das Tattoo reagiert er so:

„Der Körper ist ja von Gott dir ausgeliehen für das Leben, was du hier auf der Erde lebst, und im Himmel wirst du es ja zurückgeben. Deswegen: Ich gebe Acht auf meinen Körper.“

„Eine klare Aussage zum Tattoo gibt es im Koran nicht“

Mathias Rohe kennt die im Islam verbreitete Vorstellung über den menschlichen Körper:

„Also, es gibt die Aussage, der Mensch darf gar nicht eigenständig über seinen Körper verfügen, im Sinne von ihn verletzen, nachteilig auf ihn einwirken, weil er eben ein Geschenk Gottes ist. Und deswegen ist der Mensch auch im Hinblick auf den Umgang mit seinem eigenen Körper Gott gegenüber verantwortlich. Das ist die Grundidee.“

Enes Curuk ist ein junger Theologie-Absolvent. Er hat nach seinem Studium in der Türkei in Deutschland zunächst als Imam gearbeitet. Seine Position ist moderat. Er will zeitgenössische Fragen auf der Basis des Korans für die heutige Zeit neu durchdenken. Und auch wenn Menschen sich seit einigen Tausend Jahren tätowieren lassen:

„Eine klare Aussage zum Tattoo gibt es im Koran nicht. Die religiöse Mehrheit ist Verfechter eines Verbots und beruft sich bei dieser Rechtsprechung auf das Verbot von Einwirkungen auf den Körper mit langanhaltenden Veränderungen. Das heißt also alles, was die natürliche Erschaffenheit verändert, ist verboten.“

„Du kommst sowieso nicht ins Paradies“

Wenn Tattoos jedoch einen rein ästhetischen Zweck erfüllen, sollten sie aus religiöser Sicht durchaus tolerierbar sein, meint Enes Curuk. Doch mit dieser Ansicht stehe er ziemlich allein:

„Die selbsternannte religiöse Obrigkeit widersetzt sich natürlich dem Ganzen. Davon muss man ausgehen. Aber ich denke, dass man sich dem Ganzen nicht beugen muss und dass man durchaus über dem stehen kann.“

Nur mit theologischen Positionen, die zu einer pluralen Gesellschaft im 21. Jahrhundert passen, könne er als junger Theologe junge Muslime erreichen, sagt Enes Curuk.

Auch der Islamwissenschaftler Mathias Rohe kennt Fälle, „wo ein Hilfs-Imam in eine Justizvollzugsanstalt eingeladen wurde zur Seelsorge. Und der hatte dann nichts Besseres zu tun, als einem jungen Gefangenen, der stark tätowiert war, zu sagen: ‚Du kommst sowieso nicht ins Paradies, so wie du verstümmelt bist.‘ Na, das ist genau das, was so ein junger Mann in der Justizvollzugsanstalt hören muss. Also, es ist sehr wichtig, dass man als religiöser Mensch menschlich verständnisvoll an so was rangeht.“

„Der Islam kann ein lebendiger Glaube sein“

Auch die junge Muslimin Esra lasse sich von strengen Ansichten nicht mehr beeinflussen, sagt sie. Aus anderen Gründen hat sie sich von ihrem Tattoo-Wunsch verabschiedet. Sonst „würde ich jetzt auch schon eins haben mit einem guten Gewissen und würde jetzt keine Angst haben, dass ich jetzt deswegen in die Hölle komme.“

Auch wenn die Frage, ob Tätowierungen islamisch erlaubt sind oder nicht, keineswegs zentral ist, Mathias Rohe freut sich über solche innermuslimischen Debatten, „weil sie nämlich zeigen, dass der Islam ein lebendiger Glaube sein kann. Also man nicht unbedingt den toten Glauben der Vergangenheit immer fortschreiben muss, sondern seine eigene Meinung sich bilden kann.“

Den Islam leben, Teil 10 im Deutschlandfunk