0
70

Wirtschaftsethik im Islam vs. Gewinnmaximierung pur

Wirtschaftsethik. Eigentlich verpflichtet der Islam seine Anhänger zu sozialen Abgaben. Doch die Praxis kann anders aussehen. Etwa in Ländern wie Saudi-Arabien, Katar und auch der Türkei. Während sich die einen grenzenlosen Luxus gönnen, kämpfen die anderen täglich um ein Stück Brot. Wie passt das zusammen?

Von Hüseyin Topel

In dem gesellschaftskritischen türkischen Kinofilm „Mein Einwand“ schimpft ein Imam in einer Moschee von der Kanzel herab. Er redet über den Geiz vieler Muslime.

„Der Besitz von Eigentum, der über das hinausgeht, was zum Leben gebraucht wird, ist haram, also ein religiöses Vergehen. Ich nenne es schlichtweg Diebstahl. Es wird nicht mehr mit den anderen geteilt. Jeder denkt nur noch an sich. Da wird der eigene Besitz zum Götzen gemacht.“

„Der Reiche kann sich beim Armen bedanken“

Diese Kritik richtet sich an alle reichen Muslime, die die Armen nicht unterstützen. Denn es gibt im Islam feste Regeln, die die Gläubigen zur sozialen Abgabe verpflichten. Dazu zählt zum Beispiel die Zekah. Die Zekah schreibt vor, mindestens zweieinhalb Prozent vom dem Besitz an Bedürftige abzugeben. Die Zekah gehört zu den sogenannten fünf Säulen im Islam. Die Gebote, die alle Muslime befolgen müssen. Dazu Ali Gümüsay, Wirtschaftswissenschaftler in Wien und an der Uni Hamburg.

„Die 2,5 Prozent sind ein Mindestwert, den man abgeben soll. Wenn diese 2,5 Prozent gegeben werden, es nicht so ist, dass der Reiche gibt und der Arme empfängt und sich bedanken muss, sondern gleichzeitig – und das ist die spirituelle Komponente – kann sich der Reiche beim Armen bedanken, denn durch diese 2,5 Prozent Abgabe werden die 97,5 Prozent gereinigt. Das Verständnis ist, dass die Zekah-Abgabe den gesamten Besitz reinigt.“

„Der Gedanke der Maximierung ist falsch“

Es gehe darum, Vermögen und Eigentum religiös zu begründen. Aber auch dem Gewinnstreben Grenzen zu setzen, so Ali Gümüsay.

„Ich glaube, dass ein muslimischer Geschäftsmann, eine muslimische Geschäftsfrau, nicht als Ziel Gewinnmaximierung haben sollte, sondern eher eine Art der Maximierung der Nähe zu Gott. Wenn sozusagen das Ziel ist, dass man Gott näher kommen möchte, in alldem was man tut, ist Gewinnmaximierung überhaupt nicht der Fokus.“

Selbstverständlich dürfe und müsse auch ein muslimischer Unternehmer Gewinn machen.

„Aber der Gedanke der Maximierung ist falsch. Also dieses Prinzip, das etwas maximiert werden soll um jeden Preis, ist einfach fatal.“

Entscheidend ist, ob ein Geschäft nach religiös islamischen Prinzipien abgewickelt wird. Wenn etwa ein Geschäftsmann rücksichtslos handelt, dann könne sein Unternehmen so – nach religiösem Verständnis – nicht korrekt sein, also nicht halal. Zaid el-Mogaddedi vom Institute for Islamic Banking and Finance erklärt, was hier problematisch sein kann.

„Erzielt er den Gewinn dadurch, dass er im Bereich Einkauf oder Rohstoffe mit extrem aggressiven Methoden, sozusagen seine Gewinnmaximierung realisiert, zum Beispiel indem er sagt: ‚ich habe Kinderarbeit, ich zahle Löhne nicht regelmäßig, ich rode Plantagen ab und mache keine Aufforstung und habe dafür einen enormen Profit auf der Verkaufsseite‘, dann, würde ich sagen, mag das Geschäft per se halal sein, aber die Wertschöpfungskette durchdekliniert ist nicht mehr halal.“

Lukrative Transfers im Fußball

Ein prominentes Beispiel für so eine Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis: Ein Spieler-Transfer auf der höchsten internationalen Bühne des Vereinsfußballs sorgte im Sommer für Aufregung. Nasser Al-Khelaifi aus dem Golfstaat Katar ist Eigentümer des französischen Traditionsclubs Paris Saint Germain. Er überwies dem brasilianischen Fußballstar Neymar die Rekordsumme von 222 Millionen Euro auf dessen Privatkonto. Damit Neymar sich damit vom FC Barcelona freikaufen konnte. Zaid el-Mogaddedi sagt:

„Ich hätte mir gewünscht, dass dieser Transfer, vor dem Hintergrund eines arabischen Besitzers von dem gesamten Fußballverein, in anderer Form hätte realisiert werden sollen, weil man sagt ‚die kaufen einfach alles auf‘.“

Für Unternehmensberater Zaid el-Mogaddedi handelt es sich hier um einen extremen Fall eines aggressiven Investitionsgeschäfts. Schon seit der katarische Investor den französischen Fußballverein aufgekauft hat, bringt er den internationalen Transfermarkt durcheinander. Mogaddedi vermutet, dass diese enormen Investitionen gezielt eingesetzt werden, um weitere Gewinne zu erzielen.

„Ich bin mir sicher, es lohnt sich, weil er allein durch den Trikotverkauf, durch die entsprechenden Sponsoring-Aktivitäten und Ticketverkäufe, die sicherlich ein Vielfaches über die Zeitachse wieder zurückgespült bekommt.“

Der Kapitalismus wird zu wenig hinterfragt

Das entspreche nicht dem islamischen Wirtschaftsverständnis. Ähnlich wie die Superreichen in Katar führen auch die Saudis oder die Führungsebene in Ägypten kein bescheideneres Leben. Ali Gümüsay, Dozent an der Universität Hamburg, über die Kluft zwischen religiöser Norm und alltäglicher Praxis:

„Wir sehen in der Praxis von vielen islamischen Staaten oder auch Führungskräften in islamischen Staaten, dass sie sehr stark vom Reichtum geblendet sind und gerade in arabischen Ländern sehen wir, dass Prinzen, Prinzessinnen und Könige Wohlstand horten und mit Reichtum prahlen. Und ich denke, dass das ganz sicher nicht islamischen Werten entspricht.“

Ali Gümüsay kritisiert, der Kapitalismus werde von Muslimen zu wenig hinterfragt:

„Leider viel zu wenig. Es wird zu wenig verstanden, dass Religion auch in gesellschaftlichen Bereichen wirken soll und kann, vielleicht sogar muss.“

Doch während ein Großteil der muslimischen Superreichen international mit einem Geschäftsgebaren auftritt, das nicht den Regeln des islamischen Wirtschaftsverständnisses entspricht, gibt es auch andere Modelle. Ali Gümüsay nennt ein Beispiel:

„Ich war in Pakistan vor einigen Wochen und habe da zum Beispiel die größte islamische Micro-Finance-Organisation der Welt getroffen. Der Vorstand hat mich empfangen. Statt dass sie ein pompöses Vorstandsbüro haben, haben sie mich im Moscheeraum empfangen, der gleichzeitig auch Vorstandsbüro ist. Nein, sie wollen das Geld lieber den Armen geben.“

Erschienen im Deutschlandfunk