Gedenke an dem Brandanschlag von Solingen
Ende Mai wird in Solingen des rechtsextremen Brandanschlags auf eine türkische Familie vor 25 Jahren gedacht – auch der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu wird kommen. Eine umstrittene Geste – Kritiker befürchten einen Wahlkampfauftritt. Viele Deutschtürken dagegen sehen den Besuch positiv.
Mirza Odabasi ist Filmemacher und ging in Solingen auf die Schule. Sein erster Dokumentar-Film handelte vom Brandanschlag, 20 Jahre nach der Tat. Im Film von Odabasi erzählt Mevlüde Genc mit Tränen in den Augen von den schrecklichen Ereignissen: „Der Schmerz wird niemals weniger, die Erinnerung hört nie auf“, sagt die Mutter. Aus Sicht des jungen Regisseurs hat sich daran in den vergangenen fünf Jahren nichts verändert:
„Der Grund meines Filmes ist ja, dass sich nicht viel getan hat nach 20 Jahren. Und ich glaube, auch 25 Jahre nach dieser traurigen Sache, haben wir eigentlich nur noch die Funktion daran zu erinnern.“
Cavusoglu kommt auf Wunsch der Hinterbliebenen
Zu der Gedenkveranstaltung am Tag des Brandanschlags von Solingen kommen alljährlich Vertreter zahlreicher deutscher und türkischer Verbände, Parteien sowie zivilgesellschaftliche Organisationen zusammen. Auf ausdrücklichen Wunsch der Familie Genç, es solle bitte auch ein türkischer Regierungsvertreter anwesend sein, kündigte für dieses Jahr der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu seine Teilnahme an. Eine umstrittene Geste, stehen doch in der Türkei Ende Juni vorgezogene Wahlen an. In Deutschland wiederum gilt inzwischen, dass drei Monate vor Wahlen keine Wahlkampfauftritte ausländischer Politiker stattfinden dürfen. Sule Gürel, die türkische Generalkonsulin in Düsseldorf, weist Kritik jedoch zurück. In einer Stellungnahme heißt es:
„Der Außenminister hat es bereits klargestellt. Es geht nicht um Wahlkampf, sondern ausschließlich um den 25. Jahrestag des Brandanschlags in Solingen. Es ist eine Geste der Höflichkeit für die Familie Genc.“
Auch Bundesaußenminister Heiko Maas, der ebenfalls an der Veranstaltung teilnehmen wird, hält die Kritik an Cavusoglus Auftritt für unberechtigt. Dass sich auch Vertreter der deutschen Regierung an der Gedenkveranstaltung beteiligen, findet der deutsch-türkische Journalist Fatih Aktürk wichtig:
„Bis heute haben nur wenige deutsche Politiker an der Gedenkveranstaltung in Solingen teilgenommen. Die Familie Genc wird sich vermutlich an Johannes Rau und Armin Laschet erinnern. Mehr aber auch nicht. Die Familie Genc hat für diese Bevölkerung und die Integration Unglaubliches geleistet. Da sollte es nur normal sein, dass sie bei den Gedenkveranstaltungen nicht allein gelassen wird. Übrigens, wie ich finde, auch nicht von türkischen Politikern.“
Hoffen auf angemessenes Verhalten
Unmittelbar nach dem Anschlag versuchte Mevlüde Genc, die aufgeheizte Stimmung zu beruhigen. Seither hat sie in unzähligen Interviews stets für Verständigung geworben. Doch die Gedenkveranstaltungen hätten für viele Teilnehmer aus Politik und Zivilgesellschaft nur noch rein protokollarischen Charakter, kritisiert der Journalist Aktürk. Das Unbehagen mit Blick auf den Auftritt Cavusoglus kann er grundsätzlich verstehen:
„Die Streitigkeiten aus der Wahlzeit von vor einem Jahr, in denen Vertreter der deutschen Regierung unter anderem als Nazis beschimpft wurden, sind noch nicht vergessen. Umso mehr hoffe ich, dass sich Cavusoglu an sein Wort hält. Auch aus Respekt für die große Trauer der Familie Genc.“
Auch der Filmemacher Odabasi hofft darauf, dass alle Beteiligten sich angemessen verhalten und sich vor allem umsichtig äußern:
„Was man nicht vergessen darf, ist, dass viele Menschen, viele Politiker oder auch Künstler, Journalisten, Musiker, hierher kommen und alle Sätze, die sie hier hinterlassen, können bei den Hinterbliebenen oder uns, der Bevölkerung, Schaden anrichten. Ich hoffe, dass die Menschen, die hierher kommen, um die Veranstaltung aufzuwerten, dass die dann auch das nötige Feingefühl mitbringen.“
„Politischer Wahlkampf wäre fatal“
Der Filmemacher befürchtet: Politische Stimmungsmache könnte negativ auf die örtliche deutsch-türkische Bevölkerung zurückfallen. Insgesamt sorgt der bevorstehende Besuch von Cavusoglu bei Deutschtürken in Solingen jedoch für vergleichsweise wenig Aufregung. Männer sitzen in einem türkischen Café, vertreiben sich die Zeit bei einer Partie Rummicup. Tarkan, ein 36-Jähriger Kritiker der türkischen Regierung, und Selim, 29-Jähriger Regierungsanhänger, begrüßen beide, dass alle beteiligten Politiker dem Wunsch der Familie Genc entsprechen wollen. Tarkan findet:
„Die Familie, das sind ja türkische Staatsbürger, und wenn der türkische Außenminister die besuchen kommt und die ehrt, soll er ruhig machen. Nur, das soll kein politischer Wahlkampf sein. Das wäre fatal.“
Selim wiederum ergänzt:
„Die türkischen Minister sollten diese Menschen auch unterstützen. Die sollten zeigen, dass sie hinter dieser Familie stehen, dass sie hier in Deutschland nicht alleine sind. Das ist auch ein Zeichen für die türkischen Mitbürger hier, für uns. Wenn etwas Schlimmes passieren sollte, dass wir unser Vaterland noch hinter uns haben.“
„Die Gefahr ist immer noch da“
Selim fühlt sich auch 25 Jahre nach dem Brandanschlag in Solingen nicht richtig sicher. Die Türkei sieht er als Rückzugsort, wenn rechtspopulistische Tendenzen in Deutschland weiter ansteigen sollten:
„Zuletzt die Moscheebrände überall in Deutschland, das zeigt ja ganz klar, die Gefahr ist immer noch da. Es gab ja auch Brände in Heimen. Deshalb finde ich, dass sich in Deutschland Extremisten befinden und wir sind nicht in der Hinsicht geschützt.“
Der Brandanschlag von Solingen hat Spuren hinterlassen: Misstrauen und Furcht. Mevlüde Genc aber appelliert seit Jahren unermüdlich an ihre Mitmenschen:
„Weder Geschrei noch Wut noch Bösartigkeit haben einen Sinn. Jeder Mensch soll glücklich leben. Wir sind hier alle nur Gäste auf der Erde. Nur wenn sich alle gut verstehen und sich mit Toleranz begegnen, kann der Mensch ein glückliches Leben leben.“
Foto: Von Sir James, CC BY-SA 2.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4119365
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