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Türken in Deutschland – Angst vor Erdogan ’s langem Arm

Angst vor Erdogan ’s langem Arm

Viele in Deutschland lebende Türken haben Angst, dass der türkische Staatspräsident Erdogan unter Berufung auf den Putschversuch im vergangenen Sommer ihre Auslieferung verlangen könnte. Eine wachsende Zahl von ihnen beantragt jetzt in Deutschland Asyl.

Von Hüseyin Topel

Die staatliche Nachrichtenagentur der Türkei, Anadolu, sendete im vergangenen Jahr eine Rede des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan.

„Deutschland, ihr unterstützt im Augenblick den Terror … , und es ist nur eine Frage der Zeit, dass dieser Terror wie ein Bumerang demnächst auch Deutschland treffen wird. Wir sind besorgt darüber, dass Deutschland seit Jahrzehnten Terrororganisationen wie die PKK und die DHKPC schützt, und mittlerweile auch zu einem Hinterhof der Terrororganisation FETÖ geworden ist.“

Deutschland – eine Art Schutzzone für Terroristen: So will es der türkische Staatschef Erdogan hier nahelegen. Was für die meisten Bundesbürger erst einmal nur befremdlich klingt – für viele Türken in Deutschland steckt in solchen Worten eine Drohung. Sie fürchten, dass der türkische Staat unter Berufung auf den Putschversuch im vergangenen Sommer auch ihre Auslieferung verlangen könnte. Eine wachsende Zahl von ihnen beantragt jetzt in Deutschland Asyl.

Will der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan die Pässe von Ausgereisten annullieren?

Unter ihnen: Cafer Sadik. Er ist aus der Türkei geflohen, er wohnt in Köln. Sadik gehört der prokurdischen Partei HDP an und war Mitglied im Stadtrat einer kurdisch geprägten Kommune in der Türkei. Allein das genügt schon, erklärt er, um ihn wegen der Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung zu sechs Jahren Haft zu verurteilen.

„Ich habe niemals eine Waffe in die Hand genommen. Niemals habe ich etwas Illegales gemacht. Ich habe mit keiner Terrororganisation etwas zu tun. Im Gegenteil, ich glaube daran, dass der Kurdenkonflikt in der Türkei nur auf demokratischem Wege gelöst werden kann. Dafür habe ich mich eingesetzt. Sonst nichts.“

Nach jüngsten Berichten aus der Türkei will Erdogan von den ausgereisten Staatsbürgern wie Sadik die Pässe annullieren, wenn sie nicht in den nächsten drei Monaten zurückkehren.

„Ich wurde aus Willkür bestraft und musste meine Heimat verlassen. Jetzt will man mir den Pass annullieren. Das ist doch eine Diktatur. Mich erwartet eine Strafe in der Türkei. Deshalb will ich mich so schnell wie möglich in Deutschland integrieren und eine Arbeit finden, damit ich meine Frau und unsere kleinen Kinder in der Türkei finanziell unterstützen kann. Deshalb möchte ich, dass mein Antrag anerkannt wird. Dann kann ich vielleicht auch meine Familie nachholen.“

Bisher kein Anstieg von Auslieferungsgesuchen

Ein Auslieferungsersuchen für Sadik scheint noch nicht vorzuliegen. Das Bundesjustizministerium erklärt, insgesamt sei bisher kein Anstieg solcher Gesuche aus der Türkei zu verzeichnen. Gemäß den europäischen Auslieferungsvereinbarungen werde niemand ausgeliefert, wenn ihm seine politische Meinung, seine ethnische oder religiöse Zugehörigkeit oder geschlechtliche Orientierung vorgeworfen werde. Grundsätzlich werde auch nicht in Länder mit Todesstrafe ausgeliefert. Außerdem müsse in dem Land, das um Rechtshilfe bittet, nach rechtsstaatlichen Maßstäben entschieden werden.

Hier sieht Amnesty International im Blick auf die Türkei durchaus Probleme. Amke Dietert, Türkei-Expertin bei Amnesty:

„Übrigens war das Thema Rechtsstaatlichkeit auch schon vor dem Putschversuch in der Türkei ein sehr heikles Thema. Oft wurden Urteile auf sehr fragwürdiger Beweisgrundlage gefällt. Und es gibt eben zahlreiche Gesetze, die politische Meinungsäußerungen unter Strafe stellen.

Den jetzt Festgenommenen werden zum großen Teil Verstöße gegen das Anti-Terrorgesetz vorgeworfen. Dort ist alleine die Definition von Terrorvergehen nicht auf die Anwendung von Gewalt beschränkt, sondern bezieht sich auf politische Ziele, die als staatsgefährdend gelten.“

„Ich habe Angst, in die Türkei zurückzukehren“

Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sind unter den Asyl-Antragstellern aus der Türkei etwa 75 Prozent kurdischer Abstammung. Der größte Teil der übrigen Antragsteller sind Angehörige oder Sympathisanten der Hizmet, besser bekannt als die Gülen-Bewegung. Die Verhaftungswelle seit dem Putschversuch in der Türkei, die sich gegen mutmaßliche Anhänger des Islam-Gelehrten Fethullah Gülen richtet, hat auch die türkische Studentin Ayça Özdemir, ebenfalls aus Köln, überrascht.

„Ich war seit März 2016 im Rahmen des Erasmus-Studienprogramms für ein Semester in Deutschland. In dieser Zeit kam es in der Türkei zu dem Putschversuch. Ich habe dann erfahren, dass auch mein Vater verhaftet wurde. Er wurde in unserer Heimatstadt mit 36 weiteren Häftlingen in eine Gefängniszelle gesperrt, in die normalerweise maximal 20 Personen hineinpassen. Das alles hat mich entsetzt. Ich habe Angst, in die Türkei zurückzukehren.“

Amke Dietert von Amnesty International erklärt:

„Seit dem gescheiterten Putsch haben auch Folterfälle wieder stark zugenommen. Amnesty hat Berichte von Anwälten dokumentiert, die ihre Mandanten mit offensichtlichen Folterspuren angetroffen hatten. Wenn die Inhaftierten versuchten darüber zu sprechen, wurden sie daran gehindert und bedroht.“

Die Studentin Ayca Özdemir verfolgt die Situation in der Türkei über die sozialen Medien sehr genau und ist inzwischen fest entschlossen, in Deutschland zu bleiben.

„In Deutschland fühle ich mich sicher, weil der Staat das Recht von Privatpersonen achtet und respektiert. Deshalb habe ich Asyl beantragt.“

Erschienen im Deutschlandfunk