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Das Massaker von Madimak

Das Massaker von Madimak

Vorschlag für die Anmoderation:

In der türkischen Stadt Sivas hatte einst Mustafa Kemal Atatürk die moderne und laizistische Republik ausgerufen, die für das friedliche Zusammenleben aller Religionsgruppen im Land eintreten sollte. Doch ausgerechnet in dieser Stadt wurde am 2. Juli vor 23 Jahren ein Anschlag auf die größte religiöse Minderheit in der Türkei, die Aleviten, verübt. Die Aleviten machen etwa ein Viertel der türkischen Gesamtbevölkerung aus. Sivas ist seit alters her mit der alevitischen Tradition verbunden und stand gleichzeitig auch immer für das friedliche Miteinander von Aleviten und Sunniten. Als dort dann 1993 im Hotel Madimak (sprich: Mademak) ein alevitisches Kulturfestival stattfand, an dem auch Sunniten teilnahmen, kam es zu einem Attentat. Hüseyin Topel berichtet über die Hintergründe.

von Hüseyin Topel

Massenmord in Sivas

Die alevitische Menschenrechtlerin Seyran Ates kann sich noch gut an diese grausame Tat an diesem 2.Juli erinnern, bei dem es viele Verletzte und mehr 35 Tote gab.

„Naja, im Grunde ist ein Hotel angezündet worden, weil sich dort Aleviten drin befanden.

Das war eine ganz klare Ansage, dass man keine Aleviten in der Stadt haben will – und das in Sivas – Das war regelrecht ein Massenmord.“

Während einige Attentäter mehrere Brandsätze gegen das Hotel schleuderten, das aus Holz gebaut war, versperrte eine wütende Menschenmenge, die sich vor dem Hotel versammelt hatte, vielen der Eingeschlossenen in dem brennenden Hotel den Weg ins Freie. Dabei nahmen die Brandstifter in Kauf, dass auch Sunniten, also Vertreter der religiösen Mehrheit in der Türkei, unter den Opfern waren. Denn für die Täter hatten die Sunniten, die mit Aleviten eine gemeinsame Veranstaltung besuchten, diese Strafe verdient. Seyran Ates beschreibt die Argumentation der Attentäter:

„Warum seit ihr mit den Aleviten zusammen?“ Leute, die mit Aleviten in den Dialog treten und gemeinsame Sache machen, gehören genauso zu unwertem Leben.“

In der damaligen politisch und religiös aufgeheizten Stimmung wurden Aleviten von vielen als Ungläubige, also als Nicht-Muslime bezeichnet. Sie wurden verachtet, weil man ihnen sogar vorwarf, vom rechten Glauben abgefallen zu sein.

„Es gibt Familien, die vielleicht heute noch sagen, oder damals auf jeden Fall  gesagt haben: „Lieber gebe ich meine Tochter an einen Christen, oder einen Juden, als an einen Aleviten!“

Die Gemeinschaft der Aleviten besteht zwar aus einer Reihe von unterschiedlichen Richtungen, aber die Zahl derer, die sich eindeutig als Teil der islamischen Gemeinschaft sehen, überwiegt. Diese sagen:

„…wir bekennen uns zu dem einzigen Gott, wir bekennen uns zu unserem Propheten Mohammed, aber wir bekennen uns in der Rechtsnachfolge Mohammeds auf den Ali und damit sind wir ein Teil des Islams.“

Nach dem Anschlag von Sivas war die türkische Gesellschaft damals im Ausnahmezustand. In breiten Teilen der Bevölkerung löste der Vorfall eine Welle der Beileidsbekundung aus.

„In den Medien habe ich das zumindest so wahrgenommen, dass gesagt wurde „Das ist beschämend, das darf nicht sein, das hätte nicht sein dürfen!“ und das Aleviten sehr viel Solidarität bekommen haben.“

Sunniten und Aleviten

In der Europäischen Sivas Union haben sich Sunniten und Aleviten zusammengeschlossen, um zur Verständigung zwischen diesen beiden Religionsgruppen beizutragen. Der Präsident dieser Europäischen Union ist Rüstü Elmas, er stammt selbst aus Sivas und ist Sunnit.

„In keiner Religion kann es akzeptiert werden, dass unschuldige Menschen getötet werden. Das ist eine Tragödie. Auch ich habe mich als ein Sivasstämmiger und Sunnit schuldig gefühlt.

Für Rüstü Elmas ist klar, dass die Stadt Sivas damals ganz bewusst als Anschlagort ausgesucht wurde.

Leider passieren solche Vorfälle aus politischen Gründen. Es ist keinesfalls ein Krieg der Sivas Bevölkerung, sondern das haben politisch-interessierte Leute nach Sivas getragen. Weil in Sivas traditionell Jahrhunderte lang Aleviten und Sunniten friedlich zusammenleben.“

Die Menschenrechtlerin Seyran Ates sieht in der Türkei gegenwärtig wieder einen Trend, der ihr Unbehagen bereitet.

„Unter der aktuellen Regierung, hat sich das meiner Ansicht nach wieder verschlechtert. (…) Ich habe eher die Befürchtung, dass jetzt die Türkei sich Richtung Madimak wieder hin entwickelt..“

An der Stelle des abgebrannten Hotels Madimak steht heute ein Museum. Hier treffen sich  Sunniten und Aleviten und gedenken gemeinsam der schrecklichen Tat von damals. Inzwischen ist das Verhältnis zwischen den beiden Religionsgruppen in der Türkei insgesamt entspannter geworden. Einen Beitrag für eine gegenseitige Anerkennung erwartet die Alevitin Seyran Ates aber weniger von der Politik, als vielmehr durch die vielen kleinen Ereignisse im alltäglichen Leben.

„Dass es gelingen kann, beweisen ganz viele Liebespaare, die es Gott sei Dank gibt, die zu einer Durchmischung beitragen und Aleviten und Sunniten miteinander verheiraten.

Wir müssen aktiver die Vergangenheit aufarbeiten, aber nicht, auch für die Zukunft, uns von dieser Angst nur lähmen lassen.

Erschienen in der Sendung vom 03. Juli 2016: WDR 5 Diesseits von Eden