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Reaktion der Muslime auf islamistische Anschläge

Positionierung anstatt Distanzierung

Reaktion der Muslime. Seit dem 11. September 2001 kennt die Weltgemeinschaft eine neue Angst. Es ist die Angst vor Extremisten, die sich auf den Islam berufen und systematische Anschläge verüben. Ihr selbst erklärtes Ziel ist es den “Unglauben” zu bekämpfen. Die Gewaltspirale begann mit mit dem Sturz des World Trade Center in New York und geht bis heute weiter. Nicht nur der Westen, auch islamische Ländern sind häufig Zielscheibe dieses grenzenlosen Hasses. Die aktuellen Ereignisse führen vor, dass das Problem sehr nah an uns dran ist. Der Blick richtet sich einmal mehr auf die friedfertige muslimische Mehrheit. Ein kontroverser Beitrag darüber, wie sich die Muslime und muslimische Organisationen an Tagen wie diesen verhalten.

von Hüseyin Topel

In den sozialen Medien drücken viele Musliminnen und Muslime ihre Erschütterung aus, andere wiederum sehen sich genötigt, ja, sogar verdächtigt. Sie stören sich an dem Begriff islamistisch. Ihr Argument lautet oft, dass der Terror keinen Glauben haben kann, insofern auch nichts mit dem Islam zu tun hat. Die islamische Religionspädagogin Lamya Kaddor kann das nachvollziehen.

„Natürlich ist das menschlich nachvollziehbar, dass niemand unter Generalverdacht oder gar in Sippenhaft genommen werden will.“

Dennoch müssten Musliminnen und Muslime, genauso wie Menschen eines anderen Glaubens oder Menschen ohne eine religiöse Zugehörigkeit, nach derartigen Schreckenstaten Haltung beweisen.

Reaktion der Muslime: Haltung beweisen – Positionieren statt distanzieren

„Ich glaube es muss common sense sein, dass es weder im Namen irgendeiner Religion noch im Namen irgendeiner anderen Überzeugung oder gar Ideologie möglich sein darf, unschuldige Menschen auf offener Straße einfach so zu töten, weil man sich in seiner Ehre oder in seiner Würde oder gar in seiner Identität oder auch in seiner religiösen Identität in dem Fall verletzt fühlt.“ 

Lamya Kaddor stört es allerdings, wenn von Muslimen pauschal gefordert wird, sich zu distanzieren. Sie schlägt etwas anderes vor: 

„Ich kann mich nicht von Dingen distanzieren, wenn ich zuvor überhaupt keine Nähe dazu gehabt habe. Insofern ist die Positionierung hier das wichtige Stichwort. Die betrifft aus meiner Sicht in dem Fall durchaus Musliminnen und Muslime oder sollte an diese Adressiert werden, eine klare Positionierung, auch um sich selbst zu schützen und auch um den eigenen Glauben, die eigene Religiosität dementsprechend anders darzustellen, als der Islamismus dies genau versucht zu tun.“

Reaktion der Muslime: Haltung vs. Opferrolle

Die Islamwissenschaftlerin beobachte in der muslimischen Community Personen sowie Organisationen, die sich sofort deutlich gegen solche Gräueltaten positionieren…

„und sagen, “das kann nicht im Namen unseres Islamverständnisses und dieser Religion so passieren!“.

Doch zugleich erlebt die Religionspädagogin auch solche, die sich eher in der Opferrolle sehen und, anstatt die Gewalt zu verurteilen, die verletzten Gefühle der Muslime thematisieren. In dieses Licht ist der größte deutsche Islamverband Ditib gerückt. Bei der Freitagspredigt der vergangenen Woche wurde unter anderem das Thema “Mohammed Karikaturen” behandelt. Diese Passage wurde zum Teil heftig kritisiert. 

„Unsere erhabene Religion widersetzte sich niemals gegen kritische Sichtweisen; unterschiedliche Betrachtungen und Gedanken wurden keineswegs blockiert. Wogegen sich der Islam, ja sogar die ganze Menschheit widersetzt, ist die Verspottung und Verhöhnung von Mensch”, die zu Unwohl in der Gesellschaft führt.“ 

(…)

„In dieser Zeit, in der die Welt in einen globalen Strudel des Unwohles getrieben wird, akzeptieren wir keinesfalls diese Sprache und Symbolik, die anstatt von Respekt die Verspottung, anstelle von Empathie die Separation und Ausgrenzung bevorzugt.

„Vorsätzlich falsch verstehen“

Diese Passage führe nicht zur Deeskalation, sondern zum Gegenteil. Dazu Zekeriya Altug, Abteilungsleiter der Ditib für Außenbeziehungen.

„Um hier das Gegenteil einer Deeskalation zu sehen muss man den Text schon vorsätzlich, mit Absicht falsch verstehen. Unsere Texte, dazu gehört auch unsere Pressemitteilung sowie auch unsere Freitagspredigt zu den Themen, sind deutlich deeskalierend und sprechen für sich selber. Aber in diesem Kontext eine einzelne Passage aus unserer Freitagspredigt herauszupicken, einen einzelnen Satz, diesen dann auch noch bewusst falsch wiederzugeben, um alles ins Gegenteil zu verkehren, was wir in dieser Predigt den Menschen vermitteln wollen, ist mehr als nur manipulativ zu verstehen.“

Zekeriya Altug bemängelt beim Blick auf die Ditib eine nötige Trennschärfe. Denn ganz selbstverständlich habe der Dachverband die Gräueltaten in Frankreich mit einer Pressemitteilung deutlich verurteilt. 

Fehlende Trennschärfe beim Umgang mit Ditib

„Diese Stellungnahmen der Ditib kamen aber in den Medien leider überhaupt nicht vor, was allerdings das Problem der öffentlichen Wahrnehmung auch der Muslime nochmal verdeutlicht. Unsere Aufrufe zur Deeskalation werden überhaupt nicht wahrgenommen.“

Eine Verurteilung des Terrors kam in der Predig nicht vor. Tatsächlich behandelt sie größtenteils das Leben von Mohammed und erinnert an dessen Barmherzigkeit. Anlass hierfür sei, dass am vergangenen Donnerstag die islamische Welt den Geburtstag ihres Propheten feierte. Aber auch die jüngste Debatte um Mohammed-Karikaturen habe man thematisiert,

„…um dann im Anschluss die Gemeinde zu beruhigen, zu Besonnenheit aufzurufen, was unsere Predigt übrigens eindeutig macht.“

„Immer wieder die Gleichen“ – Reaktion der Muslime

Es seien immer wieder die gleichen Akteure, die die Ditib und auch ganz generell die Muslime kritisieren würden, ja sogar bashen würden. Doch auch Lamya Kaddor hält die Predigt der vergangenen Woche für problematisch: 

„Ich glaube sie verfehlt auch hier den Ton. Es geht weniger darum ein Appell zu leisten im Sinne von, ”wir dürfen Dinge, die uns heilig sind im wahrsten Sinne des Wortes, nicht verschmähen oder nicht verspotten”. Ich denke manchmal, also rein pädagogisch betrachtet ist manchmal die kritische Auseinandersetzung oder auch die harte Auseinandersetzung, um etwas was einem heilig ist und dem Gegenüber vllt. nicht so heilig ist, durchaus gewinnbringend. Die Frage ist nur, in welchem Ton schlagen wir solche Diskussionen an und wie ideologisiert.“

Man könne als Musliminnen und Muslime Unmut über diese Karikaturen äußern. Das halte Kaddor auch im Sinne eines demokratischen Miteinanders für wichtig.

“mir gefallen diese Karikaturen nicht, oder sie treffen nicht meinen Geschmack oder sie verfehlen meinetwegen auch das Ziel, das künstlerische Ziel”. Und trotzdem muss das in einem Land oder in Europa in einer demokratischen Gesellschaft möglich sein so etwas zu zeigen. Und da den passenden Ton zu finden ist natürlich sehr schwer“.

Erschienen im Deutschlandfunk